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„Buddha – und nicht Beton“

Judita Habermann

Die „Deutsche Buddhistische Union“ (DBU) kündigte für den 11. Juni 2022 „eine Kundgebung vor einem Zementwerk bei Hannover“ an. „In einer Kombination aus Meditation und Demonstration wird unter dem Slogan ‚Buddha – und nicht Beton‘ auf die schädlichen Wirkungen der Nutzung von Zement hingewiesen. Mit dieser Aktion soll aufgezeigt werden, welche Rolle die Lehre des Buddha (Dharma) bei der Entwicklung und Begründung von Motiven spielen und wie sie das Durchhaltevermögen für Aktivist:innen stärken kann.“

Instrumentalisieren eine solche Aktion, die inzwischen stattfand, und ähnliche Events die „Lehre des Buddha“ für ein ihr ursprünglich fremdes Ziel – vergleichbar der Achtsamkeitsmeditation als „Mindfulness-based stress reduction“ für Manager? Der Buddha der indischen Quellen lehrte jedenfalls seine Methoden weder zum Zweck des effizienten Funktionierens von Führungskräften der Wirtschaft noch zu dem der politischen Agitation, sondern zum Erlangen von Bodhi oder Nirwana durch den Einzelnen.

Das für „Buddha – und nicht Beton“ zuständige „Ratsmitglied“ der Union meint jedoch: „Die große Herausforderung besteht darin, einen grundsätzlichen Wandel erst einmal zu wollen. Wer auf dem Kissen sitzen bleibt, hat Buddhas Dharma nicht verstanden. Wer Verstehen und liebende Güte entwickelt, ist zum Handeln aufgerufen und findet ‚Freude am Bewirken‘ (samtusta).“

Drei gewagte Sätze. Klassischen Richtungen des Buddhismus ging es zweieinhalbtausend Jahre nicht darum, irgendetwas zu wollen – und ganz sicher keinen „grundsätzlichen Wandel“ in der Welt. Diese „große Herausforderung“ kannten sie nicht, sondern lehrten, wenig oder besser nichts zu wollen. Der dritte Satz, der Verstehende fände „‚Freude am Bewirken‘ (samtusta)“, zeigt die Diskrepanz zum älteren Buddhismus: Saṃtuṣṭa bezeichnete dort das Gegenteil der „Freude am Bewirken“, nämlich Zufriedenheit mit dem, was ist.

Dass man dem Buddhismus bisher Fernes oder Peripheres als zentral erklärt und Quellen anders als zuvor interpretiert, das gab es immer schon. Viele Richtungen mit neuen Motiven sind so entstanden. Wie vor Jahrhunderten in Ostasien eine „Schule vom Reinen Land“ aufkam, beginnt vielleicht derzeit im Westen eine „Schule des Aktivismus“.

Einen Aufschluss über deren erwachendes Selbstbewusstsein gibt wohl der zweite Satz des obigen Zitats: Wer nicht vom Kissen aufsteht, also vom Meditieren zum Aktionismus kommt, „hat Buddhas Dharma nicht verstanden.“ Ein Funktionär der DBU weiß also, wer den Buddha nicht verstand, was im Umkehrschluss heißt, dass er ihn verstanden hat. Wer den Buddhismus für an sich vielfältig und tolerant hält, mag solche Urteile als unbuddhistisch empfinden. Originell sind sie aber beim Aufkommen neuer buddhistischer Schulen nicht. Schon im 13. Jahrhundert erklärte der in Japan einflussreiche Mönch Nichiren seine Auslegung des Buddha zur einzig wahren und lehrte, Anhänger von Zen und anderen Richtungen würden zur Hölle fahren.

Ehrlich gesagt, bei „Buddha – und nicht Beton“ konnte ich zunächst kaum glauben, dass der von der DBU verbreitete „Slogan“ ernst gemeint sei. Das Wort Slogan bezeichnet ursprünglich den Schlachtruf schottischer Clans. Und dieser DBU-Schlachtruf wirkte auf mich wie der Titel eines satirischen Kunstprojekts auf dem Böhmermann-Niveau von „Christus – und nicht Chemiefaser“ oder für die Aufgeklärten „Kant – und nicht Kunstdünger“. Hält die DBU tatsächlich den Buddha für die Alternative zum Beton?

Ja, die Sache scheint wirklich ernst gemeint. Denn die DBU teilte mit, ihre AG „Buddhismus und Umwelt“ habe die „kleinen aber feinen Kundgebungen“ in Sachen Beton „erfolgreich durchgeführt.“ Ein Foto zeigt sieben Aktivisten vor einem Zementwerk. „Klein“ stimmt demnach – aber „fein“? Vielleicht ist die Beachflag der Manifestanten gemeint, auf der „deutsche buddhistische union“ zu lesen ist. Ob man diese professionell gestaltete DBU-Fahne mit Chemiefarbe auf industriell gefertigte Kunstfaser druckte, wäre nur dann von Interesse, wenn es um „Buddha – und nicht synthetische Polymere“ ginge.

Doch ist hier Beton das Thema, wobei „Kernforderungen“ wie „Reduktion der Verwendung von Zement und Beton“ und „Weniger Neubau, mehr Sanierung“ die Manifestanten bewegten. Da die Demonstration „erfolgreich durchgeführt“ wurde, stellt sich die Frage, ob die Aktivisten mit ihren „Forderungen“ (an wen eigentlich?) vorankamen, ob also ab sofort etwa weniger gebaut und mehr saniert wird, oder ob sich der Erfolg bereits im Stattfinden der Kundgebung erschöpft.

Auf ihrer Website zeigt die DBU sich jedenfalls weit über Beton hinaus von aktuellen Themen bewegt. Die offiziellen Stellungnahmen der Union lesen sich, als sei ihr theatralischer Stil von der päpstlichen Enzyklika Mit brennender Sorge (Pius XI.) vorgegeben: „In Betroffenheit und Sorge“, „erschüttert und zutiefst besorgt“,  „Mit großer Sorge“ und „Entsetzt und empört“ beginnen Verlautbarungen zu Themen von der Innenpolitik Myanmars, über das Impfen und Klimafragen bis zu Terroranschlägen.

Nun existieren zu derartigen Fragen der Politik, Gesellschaft, Umwelt und Gesundheit zweifellos keine verbindlichen buddhistischen Antworten. In Asien sieht man, wie sich Buddhisten politisch links, rechts-konservativ, in der Mitte oder ganz anders verorten. Bei jedem aktuelle Problem besteht sogar bei expliziter Reflexion buddhistischer Lehren eine selbstverständliche Uneinigkeit. So ist das in Gesellschaften, in denen man Differenzen nicht diktatorisch verdeckt.

Ein Buddhist kann entschieden gegen Beton sein, aber er kann ebenso eine Zementfabrik leiten. Er kann Beton sogar im Hinblick auf das Klima wegen dessen CO2 absorbierenden Eigenschaften für einen empfehlenswerten Baustoff halten und sich dabei auf in der renommierten Zeitschrift Nature Geoscience publizierte Forschungen berufen. In Süd- und Ostasien gibt es in wachsender Zahl aus Beton errichtete Tempel, in denen man den Buddha aufrichtig verehrt.

Erfolgt eine persönliche Agitation gegen oder für Beton (oder zu jeder anderen Frage bezüglich Wirtschaft und Politik) unter der Fahne des Buddhismus, ignoriert dieses Vorgehen, dass viele – vielleicht die meisten – Buddhisten die eigene Sicht nicht teilen. Wäre der Protest nicht ehrlicher unter der Fahne einer Umwelt-, Klima- oder sonstigen Bewegung aufgehoben, in der jeder Angehörige die erhobenen Forderungen unterstützt?

Wer, weil er den Buddha (im Gegensatz zu anderen) richtig verstanden zu haben glaubt, den Anschein erweckt, es gäbe zu Baustoffen, politischen Positionen, medizinischen Interventionen oder Umweltproblemen jeweils die gebotene buddhistische Reaktion oder Antwort, die man mit dem Pathos brennender Sorge medial kommuniziert, erweist der öffentlichen Wahrnehmung der Lehre des Buddha einen Bärendienst.

Gerade im Fall der DBU sollte man sich dessen bewusst sein, wenn sie laut Eigendarstellung „der traditionsübergreifende Dachverband der Buddhistinnen und Buddhisten und der buddhistischen Gemeinschaften in Deutschland“ sein will. Wer ein Dach für alle Buddhisten bereitstellen möchte, sollte sich mit Parteinahmen und eindeutigen Positionierungen zu kontroversen Themen, die im Kern nichts mit dem Bekenntnis zum Buddhismus und seiner Praxis zu tun haben, zurückhalten.

Warum genügt das Aufzeigen buddhistischer Lehren und Übungen nicht, die den Einzelnen achtsamer und bewusster werden lassen? Er kann auf dieser Basis eigenverantwortlich seine Entscheidungen zu den Details des Lebens fällen. Glaubt man bei der DBU, Buddhisten in Deutschland brauchten gedankliche und moralische Betreuung, um nicht in die Irre zu gehen, wie es in spirituellen Gemeinschaften der Fall ist, die ihre Angehörigen als Schafe betrachten, die berufene Hirten vor Abwegen bewahren müssen?

Offizielle Positionierungen der DBU in Form von verabschiedeten Resolutionen und Aktivismus erwecken den Eindruck verschlossener Türen für jene, deren Perspektive in Baustoff-, Impf- oder anderen nicht unmittelbar den Buddhismus betreffenden Fragen von der des Rats der DBU abweicht. Wäre stattdessen im Sinn der Wahrhaftigkeit nicht der Hinweis angebracht, dass Buddhisten zu Belangen der Politik, Wirtschaft und allen weiteren Aspekten des Lebens sehr unterschiedliche Positionen einnehmen?

Jedes weitere Thema, zu dem die DBU Stellung nimmt oder Manifestationen unterstützt, lässt den von ihr vertretenen Buddhismus enger und zunehmend sektenhaft wirken. In der Regel ist eine Sekte um so enger, je mehr Antworten auf Fragen aller Art sie ihren Angehörigen liefert.

Die DBU erscheint gemessen am reichen buddhistischen Leben in Deutschland tatsächlich als relativ kleine Sekte, die sich durch ihr nach außen kommuniziertes Selbstbild als offizielle Vertreterin des Buddhismus und Dialogpartnerin generiert. Doch mit Sicherheit ist diese Union nicht der Dachverband der Buddhisten und ihrer Gruppen in Deutschland, wie die Eigendarstellung vorgibt. Fakt ist: Die größten Gemeinschaften von Buddhisten in der Bundesrepublik, darunter solche von Menschen mit asiatischem Migrationshintergrund, gehören nicht der DBU an. Die Zahl der von der Union vertretenen Buddhisten in der Bundesrepublik dürfte im unteren einstelligen Prozentbereich liegen, – Tendenz fallend…

Die an Buddhisten stärkste einstige Mitgliedgemeinschaft der DBU, Diamantweg, die auf das Wirken von Lama Ole Nydahl zurückgeht, verließ 2019 die Union, weil es ihr dort zu eng wurde. Die lesenswerte Austrittserklärung kritisierte „eine Art DBU-Glaubenskongregation, die den einzig wahren Buddhismus und vermeintlich ordentlichen Buddhisten definiert.“ Dies widerspreche der originären Aufgaben, unterschiedliche autonome Gemeinschaften als Dachverband zu vertreten. Es bestehe kein „Bedarf für die Normierung eines mustergültigen deutschen Buddhisten,“ sondern gehe um „den Erhalt der Vielfalt der verschiedenen buddhistischen Traditionen.“

Der Deutschen Buddhistischen Union ist zu wünschen, dass sie vom Kampf gegen Zementsäcke und anderen gesellschaftlich-politischen Anliegen, über die Buddhisten sehr unterschiedlich denken (dürfen), zum Wesentlichen und Verbindenden zurückfindet, nämlich zum Buddha und der auf seiner Lehre gründenden Vielfalt der Traditionen und Auffassungen. In diesem Wortsinn ließe sich der Formel „Buddha – und nicht Beton“ vorbehaltlos zustimmen.