Volker Zotz
Seit Jahrhunderten findet der Buddha in Österreich ein Echo. Eine frühe Spur stammt aus dem 13. Jahrhundert. Man sieht sie in der Kremser Gozzoburg oben rechts an der Ostwand des Freskensaals. In einem Bildfragment erhebt ein Mann den Zeigefinger und mahnt einen Gekrönten. Im Mahner und dem Gekrönten verbergen sich jener Asket, der den späteren Buddha Siddhārtha nach der Begegnung mit Alter, Krankheit und Tod zum spirituellen Weg anregte, sowie Siddhārtha selbst. Die Fresken der Gozzoburg illustrieren die Geschichte des Asketen Barlaam und des indischen Prinzen Josaphat, die in der Buddha-Biografie wurzelt. Über arabische und byzantinische Vermittler kam sie nach Westen. Man las diese im Mittelalter beliebte Buddha-Legende im christlichen Gewand in Österreichs Klöstern, wie Handschriften des 12. und 13. Jahrhunderts etwa aus Seckau, Melk, Vorau und Stams bezeugen. Nach dem Magnum Legendarium Austriacum gedachte man im Kirchenjahr am 12. April der beiden indischen Heiligen.
Ihr Kult war verblasst, als man im 19. Jahrhundert das Urbild Josaphats in Gautama Siddhārtha erkannte, der jetzt als Buddha die europäische Bühne betrat. Im deutschen Sprachraum öffnete ihm der österreichische Indologe Karl Eugen Neumann (1865 – 1915) die Tür. Er übersetzte Reden des Buddha aus dem Pāli, ein monumentales Werk, das zu seinen Lebzeiten kaum Interesse fand. Für die mittellangen Reden des Buddha bewarb er sich bei über 30 Verlagen, bevor 1896 der erste Band erschien. Die Bücher blieben Ladenhüter. Als die 1899 gedruckten Lieder der Mönche und Nonnen des Buddha bis ins dritte Jahr nur 130 Käufer fanden, gab der Verlag das Projekt auf. Neumann starb an seinem 50. Geburtstag in Wien als tragische Figur, von der akademischen Welt verlacht und vom Publikum verkannt.
Nach seinem Tod entdeckten Literaten Neumanns Arbeit. Zu den Beeindruckten gehörten Hermann Hesse und Thomas Mann, für den Neumanns Buddha-Reden zu den „größten Übersetzungstaten gehört, die für unser Volk geschahen.“
In Österreich wurde Hugo von Hofmannsthal vom Buddha ergriffen. Er hatte sich lange mit der Kultur und dem Denken Süd- und Ostasiens beschäftigt. Nun sah er durch Neumann im Buddha die wichtigste Gestalt, „die in der Mitte dieses Ganzen ruht.“ Westlicher Hektik des Fortschritts halte der Buddha zeitlose Ruhe entgegen. Hofmannsthal galt Europa nach dem Ersten Weltkrieg und Zerfall des österreichischen Vielvölkerstaats verloren, würde es sich nicht Asien mit dem Buddha im Zentrum öffnen. Davon erwartete er eine abendländische Renaissance. 1921 schrieb er: „Wir werden nur bestehen, sofern wir uns eine neue Antike schaffen: und eine neue Antike entsteht uns, indem wir die griechische Antike, auf der unser geistiges Dasein ruht, vom großen Orient aus neu anblicken.“ Wie stark Buddhistisches im Werk des Dichters lebt, drang über Kreise eingeweihter Gelehrter kaum hinaus. Towards Buddhood betitelte Freny Mistry 1974 eine Analyse der Gestalt des Sigismund im Drama Der Turm. Theaterbesucher ahnten den Bodhisattva in Sigismund so wenig wie mittelalterliche Christen, dass sie am 12. April in Josaphat eine Metamorphose des Buddha verehrten.
Die Beachtung des Buddhismus blieb nicht auf Dichter beschränkt. Wie überall in Europa wurden in Österreich seit den 1960er Jahren viele Menschen durch Lektüre, Begegnungen mit asiatischen Lehrern oder Fernreisen mit buddhistischer Lehre, Ethik und Meditation bekannt. Manchen galt wie Hugo von Hofmannsthal der Buddhismus als Aufforderung zum Neubeginn, andere folgten Zugängen, die eher der alten Josaphat-Verehrung glichen. So entstand eine bunte Bewegung, die auf vielfältige Weisen in Traditionen buddhistischer Kulturen wurzelte.
In Österreich gibt es ein Gesetz des Jahres 1874, das der Regierung erlaubt, religiöse Gemeinschaften als solche anzuerkennen. Wie zeitgemäß es ist, dass ein Staat Religionen durch hoheitliche Akte privilegiert, sei dahingestellt. Da der rechtliche Unterschied zwischen Vereinen und anerkannten Gemeinschaften bestand, strebten Österreichs Buddhisten konsequent nach öffentlicher Aufwertung ihrer in Asien geschätzten Religion.
Fritz Hungerleider stellte als Präsident der Buddhistischen Gemeinschaft Österreichs im Januar 1975 den Antrag auf Anerkennung beim zuständigen Unterrichtsministerium. Dort orientierte man sich statt an Hugo von Hofmannsthal wohl eher an gängigen Urteilen. Fast zeitgleich mit Hungerleiders Eingabe nannte das Magazin Der Spiegel den Buddhismus eine „Religion für müde Europäer“ und diagnostizierte, dass die „religiöse Infektion aus dem Osten den Westen in einer Phase der verminderten Widerstandskraft trifft.“ In dieser Weise verglichen viele Veröffentlichungen den Buddhismus mit einer ansteckenden Krankheit, mit der man Kontakte besser mied.
Vielleicht darum ignorierte das Ministerium den Antrag. Hungerleider dokumentierte allein für September und Oktober 1975 mehr als fünfzig Fehlschläge, einen Zuständigen zu sprechen. Im Dezember führte die an Minister Fred Sinowatz gerichtete Beschwerde über monatelanges Schweigen seines Resorts zur Ablehnung. Weiteren Eingaben, die der Anwalt und Schriftsteller Alfred Drach betreute, folgten stets behördliche Einwände. Immerhin korrespondierten Beamte nun mit Buddhisten. Als nach jahrelangem Hin-und-her die Anerkennung 1983 erfolgte, blieb die Verfassung der Buddhisten im Ministerium liegen, bis der Jurist Theodor Strohal 1985 am Verwaltungsgericht ihre Gültigkeit erstritt.
Bietet die staatliche Anerkennung des Buddhismus in Österreich vor vierzig Jahren Anlass zur Feier? Immer ist gut, wenn Menschen erfreulicher Dinge gedenken, auch dessen, dass Politik, Ämter und Gerichte nach zehn Jahren des Argumentierens die Erben des Buddha jenen von Moses, Christus und Mohammed amtlich gleichstellten.
Anderseits braucht, was Religionen bieten, kein Gütesiegel. Behördliche Anerkennung mag in Ländern mit entsprechenden Gesetzen administrative Erleichterung und gesellschaftlichen Respekt bewirken. Doch wie Geschichte und Gegenwart erweisen, birgt die Institutionalisierung von Religion und ihre Nähe zur weltlichen Sphäre Gefahren. Leicht verblasst, worum es geht, vor der Wichtigkeit der Existenz als Organisation. Stirbt die Inspiration am Überlieferten, hält kein Stempel der Bestätigung und keine ausgefeilte Struktur den Geist am Leben.
Buddhistischer Geist mag ohne hinweisendes Etikett in einem mittelalterlichen Fresko oder einem Werk der Dichtung wirken, und er kann Institutionen abhandenkommen, die „Buddhismus“ im Namen führen.
Der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft sei zum 40. Jubiläum ihrer Anerkennung gewünscht, dass sie den Geist bewahrt und ihr noch manche Gelegenheit zum Feiern entsteht. Zur selbstverständlichen Akzeptanz durch Staat und Gesellschaft finden sich viele Gründe in der langen und anregenden Geschichte des Buddha mit Österreich und seiner Kultur, wofür Namen wie Neumann und von Hofmannsthal stehen.
Anlässe birgt zudem die Vergangenheit der buddhistischen Bewegung. 1923 gründete Axel Grasel in Wien die erste buddhistische Gemeinschaft Österreichs, wodurch 2023 sogar zum 100. Jubiläumsjahr wird. Doch auch 100 Jahre sind wie 40 nur ein Bruchteil der Jahrhunderte seit dem Auftritt des Bodhisattva in der Gozzoburg oder der zweieinhalbtausendjährigen Geschichte des Buddhismus in Eurasien.
(Beitragsbild: Fassade der Gozzoburg, Krems)