Andrea Liebers, 1961 in Karlsruhe geboren, vereint in ihrer Arbeit Sphären, die sonst oft getrennt bleiben: Geistes- und Naturwissenschaften, durch Forschung erhobene Fakten und künstlerische Fiktion, kulturelle Traditionen Europas und Asiens. Während ihres Studiums der Germanistik und Altphilologie, begeisterte Andrea Liebers sich für die lateinische Literatur des Mittelalters. Ihre Doktorarbeit behandelt die Mirakel-Erzählungen der Zisterzienser. 1989 veröffentlichte sie das Buch Eine Frau war dieser Mann über Hildegund von Schönau, die in einem Zisterzienser-Kloster lebte, wo man sie erst bei ihrem Tod 1188 als weiblich erkannte.
Man würde bei einer solchen Spezialisierung eine geisteswissenschaftliche universitäre Karriere erwarten. Aber Andrea Liebers wagte den Sprung aus der religiösen Wunderwelt des 12. Jahrhunderts in die aktuelle Naturwissenschaft. Drei Jahre war sie am Deutschen Krebsforschungszentrum tätig, wo sie unter anderem in der Pressestelle mit der Kommunikation biomedizinischer Forschungsergebnisse zu tun hatte. Dass die Naturwissenschaft den Menschen weitgehend auf seinen physischen Aspekt reduziert, befriedigte Andrea Liebers nicht. In der Zeitschrift Tibet und Buddhismus schrieb sie 2020: „Ich hatte schon immer eine Affinität zur unsichtbaren Welt. Als Kind ging ich nie ohne meinen Schutzengel aus dem Haus und glaubte fest an die Existenz der Märchen- und Sagengestalten, mit denen ich aufwuchs.“
Ihr Interesse für Perspektiven, die über das Materielle hinausgehen, führte zum Buddhismus, der ihr zu einem wesentlichen Einfluss wurde. Andrea Liebers wirkte als Redakteurin der buddhistischen Zeitschrift Lotosblätter und begann mit dem Verfassen literarischer Texte, was bis heute ein wesentlicher Aspekt ihres Schaffens ist.
Ein erstes Kinderbuch Spuk in Heidelberg (1996) handelt von der Zauberin Jetta, die von einem Wolf begleitet Heilkräuter sammelte, um sie den kranken Menschen in der Umgebung zu bringen. Die Erzählung wurde der Auftakt zu einer Reihe von Werken, in denen Andrea Liebers an das Motiv des Wunderbaren anknüpft, das sie früher in der Literatur des Mittelalters erforschte. Beispielhaft seien Spuk am Neckar (1998), Spuk im Odenwald (2001) und Das Geheimnis der Pyramide (2001) genannt. In den Kindergeschichten von Andrea Liebers treten einzigartige Gestalten auf wie der „anatolische Wasserbesprecher“ Osman Dikmen in Wasserspuk in Mannheim (2011). Wie die Titel zeigen, lässt die Autorin die Handlungen vieler ihrer Kinderbücher im südwestdeutschen Raum spielen. Vor dem Hintergrund der Globalisierung ist es ihr wichtig, dass die heute schon von Kindern geforderte Weite der Wahrnehmung eine Basis im Vertrauten der Heimat findet.
In anderen Büchern führt Andrea Liebers junge Leser an die Lehre, Ethik und Geistesschulung des Buddhismus heran, etwa in Das Geheimnis des Buddha (2007) und in dem Buch Ein bärenstarker Geist (2008), das Kinder zu einem buddhistisch inspirierten Meditieren anregt. Zu diesen Werken zählt auch Der Bananenbaum (2020), die Aktualisierung einer indischen Jātaka-Erzählung. Mit Gestalten wie einem überdrehten Affen, der am Computer spielt und einem fußballbegeisterten Elefanten im Sporttrikot versteht es die Autorin, einen klassischen Text in die Lebenswelt heutiger Kinder zu holen.
Bücher von Andrea Liebers fanden immer wieder öffentliche Anerkennung. Finn macht es anders (2017) wurde 2018 mit dem von der Stiftung Lesen und der Leipziger Buchmesse verliehenen Lesekompass ausgezeichnet. Hier wird eindrucksvoll die Geschichte eines Jungen erzählt, der von Mitschülern gemobbt wird, aber durch unerwartetes Verhalten das Problem aus der Welt schafft. Der Deutschlandfunk hat das Buch bei Erscheinen unter die „7 besten Bücher des Monats“ gereiht.
2020 gründete Andrea Liebers die buddhistische Kinderbuch-Edition Kimonade. Der Name ist Programm: Es geht um Literatur für junge Leser, die edel wie ein Kimono und erfrischend wie Limonade sein soll.
Ḍamaru fragte bei Andrea Liebers nach:
Was beschäftigt Sie gerade?
Ich schreibe gerade an meinem neuen Kinderbuch Der magische Rauchzauber, das im 14. Jahrhundert in Worms spielt und sich um den berühmten Gelehrten und Magiermeister Rabbi Jaakov haLevi Moelin dreht, den es wirklich gegeben hat. In diese fremde Welt abzutauchen ist sehr spannend!
An welchem Ort wären Sie jetzt am liebsten?
Ganz in meiner Mitte!
Sehen Sie eine vordringliche Aufgabe in Ihrem Leben?
Anscheinend hat mich das Schicksal oder das Karma dahin geführt, Kindern die Religionen nahe zu bringen. 2019 habe ich die Edition Kimonade gegründet, in der buddhistisch inspirierte Kinderbücher verlegt werden. In vielen meiner Bücher geht es um Religion und Ethik.
Hat ein Buch Sie geprägt, erschüttert oder Ihr Denken und Tun beeinflusst?
Auf alle Fälle! In meiner Kindheit Die Brüder Löwenherz von Astrid Lindgren, in meiner Jugend war das Die Kunst des Liebens von Erich Fromm. Vor einiger Zeit haben mich die Bücher von Olga Tokarczuk sehr darin bestärkt, im Schreiben mutiger zu werden.
Welche Musik spielt in Ihrem Leben eine Rolle?
Ich liebe Gambenmusik aus der Barockzeit, wenn ich sie höre, öffnet sich mein Herz.
Gibt es Menschen, die Sie als Vorbilder sehen?
Ich lasse mich leicht inspirieren. Wenn ich von jemandem höre oder erfahre, der oder die etwas Wunderbares in die Welt „gesetzt“ hat, dann entzündet das meine Energie und erfrischt meinen Geist.
Was bedeutet Ihnen die Bildende Kunst?
Sehr viel. Ich liebe die spannungsvoll in Szene gesetzte Harmonie von Farben und Formen, sei es in Architektur, Skulptur oder in Gemälden. Ich bin glühender Fan von Henri Matisse, der dies für mich perfekt beherrscht.
Welches historische Ereignis ragt aus Ihrer Sicht besonders heraus?
Da gibt es so viele, vor allem auch die Wendepunkte. Ich finde es merkwürdig, dass alles sich in Variationen wiederholt und wir Menschen nicht aus dem Vergangenen lernen können.
Gibt es Werte, die wir bewahren sollten?
Unbedingt. Die Tugendregeln, die der Buddha aufgestellt hat, die sich ja in allen Religionen als Grundlage wiederfinden.
Was wollen Sie abschaffen oder verändern?
Die Zerstörung der Natur und unserer natürlichen Umwelt würde ich gerne sofort stoppen.
Hat das Leben einen Sinn?
Auf alle Fälle schon mal den Sinn, nach dem Sinn zu fragen.
Was löst bei Ihnen der Gedanke an den Tod aus?
Großes Unbehagen, und das unangenehme Gefühl, ihn doch zu sehr zu verdrängen.
(Foto: © Sabine Arndt)