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Leitbild der Zeitschrift Ḍamaru

Birgit Hutter

Das folgende Leitbild für Ḍamaru wurde im Frühjahr 2007 anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des ersten Erscheinens von den Mitarbeitern der Zeitschrift erarbeitet und von der Herausgeberin formuliert.

Der Name

Für die von ihm 1982 gegründete Zeitschrift wählte Volker Zotz den Namen Ḍamaru, weil diese Klangfolge in unterschiedlichen Sprachen die widersprüchlichen Bedeutungen von Laut und Stille umfasst. Im Sanskrit bezeichnet डमरु (Ḍamaru) eine sanduhrförmige Handtrommel mit zwei Fellen. Sie wird durch Drehen des Handgelenks mittels kleiner Steine am Ende von Schnüren geschlagen, die am Korpus der Trommel befestigt sind.

Das japanische Wort damaru (黙) bedeutet hingegen Schweigen. So vereinen die Silben Da-ma-ru den Widerspruch Geräusch und Geräuschlosigkeit, was sie zum Sinnbild für den Zusammenfall der Gegensätze (coincidentia oppositorum) werden lässt oder mit dem Prajñāpāramitāhṛdayasūtra, einem klassischen Text des Mahāyāna-Buddhismus zu sprechen: „Gestalt ist Leere, Leere ist Gestalt.“ Die geräuschlose Trommel symbolisiert derart ein Programm des Erkennens und Bejahens der Widersprüche.

Werte und Vision

  1. Kulturelle und spirituelle Impulse aus Europa, Süd-, Ost- und Zentralasien wirken in Ḍamaru zusammen, ohne eine vereinheitlichende Synthese oder ein synkretistisches Gebäude anzustreben. Es geht darum, das eine im Licht des anderen oder im Kontrast zum anderen vertieft zu sehen. Neues, das aus interkulturellen Begegnungen entsteht, lässt sich nicht durch Theorien herbeizwingen, sondern entspringt komplexen Prozessen des Zusammenwirkens vieler Einzelner. Erdachte Systeme sind dabei nicht an sich wertlos, doch kritisch zu hinterfragen, weil sie leicht die kreativen Potentiale interkultureller Begegnungen, hemmen.
  2. Als Richtschnur dient Ḍamaru die philosophische Schule des Prasaṅgika-Madhyamaka, der zufolge alles widerlegt werden kann, keine Position also völlig richtig oder falsch ist. Volker Zotz interpretierte dies mit folgenden Worten: „Im Grunde trifft kein Welt- und Menschenbild zu, entspringt doch bereits dessen Formulieren einer bestimmten Perspektive, die von anderen ebenso berechtigten abweicht. Obwohl eine mit der Wahrheit deckungsgleiche Theorie unmöglich bleibt, sind die philosophischen Systeme alles andere als wert- und zwecklos. Sie spiegeln eine aus unterschiedlichen Standorten erfahrene Realität.“ (Ḍamaru 36, 2005) Aus diesem Geist entstehen Offenheit, Toleranz, Akzeptanz und Pluralismus.
  3. Inhaltliche Koordinaten bilden für Ḍamaru die Lehren und Biografien der maßgebenden Gestalten der von Karl Jaspers als „Achsenzeit“ bezeichneten Epoche des eurasischen Kontinents: Gautama Buddha, Konfuzius und Sokrates sowie klassische Denker in deren Nachfolge, etwa Nāgārjuna, Menzius und Vertreter der antiken Philosophie des Abendlandes. Dazu kommen moderne Exponenten eurasischer Begegnungen wie Lama Anagarika Govinda, René Guenon, Rabindranath Tagore, Aurobindo Ghose, Liang Shouming und Tetsujirō Inoue, um nur wenige exemplarisch zu nennen.

Anliegen und Praxis

  1. Auf der Basis seiner Werte und Vision geht Ḍamaru einem breiten Spektrum an philosophischen, kulturellen und interkulturellen Fragen nach, um die Diskussion eines „eurasischen Humanismus“ und einer „interkulturellen Spiritualität“ zu fördern, wie sie Volker Zotz 1979 in seiner Schrift Offenes Leben und Tod andeutete. Dabei sind Beiträge ungeachtet dessen relevant, ob ein Text nach herkömmlichen Kategorien in den Bereich der Wissenschaft oder der Literatur fällt oder eine Mischform darstellt.
  2. Ḍamaru bleibt mit der Entwicklung seiner Autoren, redaktionellen Mitarbeiter und Leser in Bewegung. Trotz Orientierung an diesem Leitbild bestehen keine engen thematischen Grenzen; unterschiedliche Perspektiven und daraus folgende Kontroversen und Debatten werden ebenso bejaht wie Widersprüche. Denken, Erleben und Fortschreiten bleiben Prozesse ohne abschließende und immer gültige Ergebnisse.
  3. Durch ihre Gründung und Geschichte ist die Zeitschrift buddhistischen, konfuzianischen und abendländischen Traditionen ebenso verpflichtet wie dem vorurteilsfreien Gestalten der Gegenwart und des Kommenden. In Offenheit für vielfältige Impulse steht Ḍamaru weder links noch rechts noch in der Mitte, – verfolgt kein konservatives, kein progressives und kein liberales Programm. Wenn ein verbreitetes Denken in Schubladen die Urheber von Ideen und Texten religiös, politisch, weltanschaulich, akademisch oder moralisch in bestimmten Lagern verortet, wird dies für Ḍamaru weder zum Ein- noch zum Ausschlusskriterium.

(aus Ḍamaru Nr. 38, 2007)