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Zum 120. Geburtstag von Christmas Humphreys

Birgit Zotz

2021 jährt sich zum 120. Mal der Geburtstag von Christmas Humphreys (1901-1983), einem prominenten britischen Juristen, der als ebenso verdienstvoller wie kontroverser Pionier der buddhistischen Bewegung in Europa in Erinnerung blieb.

Humphreys verstand sich seit seiner Jugend als Buddhist. Nachdem sein älterer Bruder 1917 im Ersten Weltkrieg 1917 fiel, begann für den Sechzehnjährigen eine religiöse Suche, die ihre bleibende Richtung erhielt, als er 2018 in einer Buchhandlung das Werk Buddha and the Gospel of Buddhism von Ananda Kentish Coomaraswamy fand. Während Christmas Humphreys in Cambridge Recht studierte, wurde er um 1920 Mitglied der dortigen Ortsgruppe der Theosophischen Gesellschaft, innerhalb derer er einen buddhistischen Studienkreis ins Leben rief. Daraus ging 1924 die Buddhist Lodge of the Theosophical Society hervor, die 1926 unabhängig von der Theosophischen Gesellschaft wurde und seit 1943 den Namen Buddhist Society führt.

Sechs Jahrzehnte bis zu seinem Tod 1983 leite Christmas Humphreys die bis heute aktive Gesellschaft als Präsident. Viele für das Bekanntwerden des Buddhismus in Europa bedeutende Persönlichkeiten konnte er früh als Mitarbeiter und Vortragende gewinnen. Darunter finden sich der japanische Gelehrte D. T. Suzuki, dessen Bücher in weiten Kreisen Aufmerksamkeit für den Zen-Buddhismus erregten, der Buddhismuskundler Edward Conze, der später in Amerika tätige Alan Watts und der XIV. Dalai Lama. Auch Lama Anagarika Govinda machte mit Li Gotami, als er 1960 nach drei Jahrzehnten erstmals wieder aus Indien nach Europa kam, bei Christmas Humphreys und der Buddhist Society in London Station.

Im Vorstand der Gesellschaft arbeitete mit Humphreys seit den 1940er Jahren Jack Austin (1917-1993) zusammen, der 1952 zu den ersten Mitgliedern des neuen westlichen Zweiges des von Govindas 1933 in Indien gegründeten Ordens Ārya Maitreya Maṇḍala gehörte.

So wurde Humphreys Gesellschaft ein Kristallisationspunkt des Buddhismus im Westen, indem sie durch Veranstaltungen, Publikationen und ein weites Netzwerk Aufmerksamkeit bewirkte. Stehen die diesbezüglichen Verdienste Humphreys fest, war seine Interpretation des Buddhismus auch unter seinen Weggefährten umstritten. Im Unterschied zu seiner Gesellschaft, die er 1926 von der Theosophischen Gesellschaft löste, basierten seine Anschauungen lebenslang auf den theosophischen Schriften von Helena Petrovna Blavatsky und Annie Besant, deren Bild vom Buddhismus stark von den klassischen Quellen abweicht. So hing Humphreys immer dem Evolutionismus der Theosophen an und nahm im Unterschied zur Saṃsāra-Lehre des traditionellen Buddhismus einen planvollen Zweck an, der im Universum waltet und diesem Sinn verleiht.

Auch die Karma-Lehre interpretierte er im theosophischen Sinn als Mittel der Höherentwicklung. Entsprechend sah Humphreys seiner Autobiografie Both Sides of the Circle (1978) zufolge seine Arbeit als Jurist als durch die Geburt feststehenden Dharma, was hier Pflicht bedeutet. Schon der Großvater Charles Octavius Humphreys (1829-1902) war als Rechtsanwalt auch für Oscar Wilde tätig. Der Vater, Sir Richard Somers Travers Christmas Humphreys (1867-1956), zählte als Anwalt, Ankläger und Richter unter die anerkannten Juristen seiner Epoche.

Nach seinem Studium war Christmas Humphreys zunächst als Strafverteidiger tätig, dessen Kreuzverhöre Beachtung fanden. Seit 1934 arbeitete er in leitender Position für die Strafverfolgungsbehörde. Er zog diese Tätigkeit für die Staatsanwaltschaft jener des Rechtsanwalts vor, weil er annahm, Zeugen der Anklage sprächen eher die Wahrheit als solche, die eine Verteidigung unterstützten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Humphreys stellvertretender britischer Staatsanwalt bei den Kriegsverbrecherprozessen am internationalen Militärgerichtshof in Tokio, die analog zu den Nürnberger Prozessen abgehalten wurden. Seinen Aufenthalt in Japan verband er mit einer fünfundvierzig Wochen dauernden Weltreise, deren Eindrücke er mit einem Bericht von den Prozessen im Buch Via Tokyo (1948) festhielt.

Der singhalesische Schriftsteller Tissa Devenendra, der das Buch im Folgejahr rezensierte (The Buddhist Vol. XX, No. 3), attestierte Humphreys nur oberflächliche Kenntnisse vom Buddhismus. Darüber hinaus interpretierte er den Juristen Humphreys, der für die Ankläger Japans arbeitete, und den Buddhisten Humphreys, der als Freund Japans die Kultur des Landes bewunderte, als „obviously an acute case of schizophrenia.“

Nach seiner Weltreise war Humphreys als Staatanwalt an aufsehenerregenden und folgenreichen Fällen der britischen Rechtsgeschichte beteiligt. Er fungierte 1950 als der Ankläger von Timothy Evans, der wegen Mordes an seiner Frau und Tochter hingerichtet wurde. Dies stellte sich als ein tragischer Justizirrtum heraus, weil das Verbrechen eindeutig einem später überführten Serienmörder nachgewiesen werden konnte, der ausgerechnet als wichtigster Zeuge Humphreys‘ Argumentation gegen Evans stützte. Als zusätzlich skandalös wurde empfunden, dass Travers Humphreys, der Vater des Anklägers Christmas, zu den Richtern gehörten, die ein Berufungsverfahren ablehnten.

Ebenfalls trat Humphreys als Ankläger im Fall des trotz höchst zweifelhafter Beweislage 1953 hingerichteten Derek Bentley auf, der später posthum von der Königin begnadigt wurde. Ein anderer beachteter Prozess war jener der Ruth Ellis, die 1955 als letzte Frau in Großbritannien durch den Strang starb, weil sie ihren Partner erschoss. Während der Verhandlung stellte Humphreys der Angeklagten nur die einzige Frage, was ihre Absicht beim Schießen gewesen sei. Nachdem sie den Willen zur Tötung zugab, beriet das Gericht nur 20 Minuten, um sie für schuldig zu befinden. Bei der Bewertung der komplexen Beziehungstat, zu deren Vorgeschichte gehörte, dass der Getötete der Frau durch Schläge in den Bauch eine Fehlgeburt auslöste, blieben mildernde Umstände unbeachtet.

Diese drei Hinrichtungen nach spektakulären Prozessen, in denen Christmas Humphreys als Ankläger auftrat, trugen nach öffentlichen Protesten wesentlich zu Änderungen im britischen Strafrecht und in weiterer Folge zur Abschaffung der Todesstrafe bei.

Christmas Humphreys sah seine Rolle als Staatsanwalt vor dem Hintergrund der Lehre vom Karma, auf die seine Autobiographie immer wieder eingeht. Die im theosophischen Sinn verstandene Lehre erlaubte ihm implizit ein Rationalisieren seiner problematischen Anklagen. Wenn man überhaupt vor Gericht stand, war dies für Humphreys ungeachtet der konkreten Beschuldigung eine Folge eigener früherer Taten. Wer gehängt wurde, erfuhr das Ergebnis von etwas, das er in früheren Leben selbst verursachte (S. 171). Entsprechend erlebten nach Humphreys auch die Opfer des Zweiten Weltkrieges unausweichlich und zurecht, was ihnen aufgrund eigener Verursachung zukam (S. 107).

Diese Sichtweise, dass es keine unschuldigen Opfer gibt, ist nicht nur für ein Empfinden der Menschlichkeit problematisch, sondern auch im Hinblick auf den alten Buddhismus problematisch, für die nur ein Buddha wahrheitsgemäße Urteile über Ursachen und Wirkungen im Hinblick auf die Karma-Lehre treffen kann (Aṅguttaranikāya VI, 44). Tissa Devenendra meinte schon 1949 in seiner zitierten Rezension, Humphreys sei grundlos „very sure of himself and his ablities.“

In den 1960er und 1970er Jahren war Humphreys am Old Bailey genannten Zentralen Strafgerichtshof in London als Richter tätig. Wie seine Tätigkeit als Staatanwalt wurden auch von ihm als Richter gefällte Urteile öffentlich diskutiert. Als er 1975 einen zweifachen Vergewaltiger zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilte, bei einem Betrugsfall von 2000 Pfund dagegen 18 Monate Haft verhängte, wurde dies als unverhältnismäßig milde gegenüber dem Gewaltverbrechen angegriffen. Die Kritik führte schließlich 1976 zu Humphreys Pensionierung und er widmete die letzten Jahre seines Lebens buddhistischen Aktivitäten.

(Das obige Foto zeigt Lama Anagarika Govinda und Li Gotami Govinda 1960 mit Christmas Humphreys in London)