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Synchronizität, Zufälle, Orakel, Bilder

Benedikt Maria Trappen

Zu den Themen analytischer Psychologie, mit denen ich mich bereits Anfang der achtziger Jahre im Rahmen wissenschaftlicher Arbeiten auseinandergesetzt habe, gehört C.G. Jungs Begriff der Synchronizität. Gemeint ist damit das sinnhafte Zusammenfallen mehrerer Ereignisse, die jedes für sich eine eigene Ursächlichkeit und Kausalkette haben, die aber in keinem ursächlichen Zusammenhang stehen. Dichterisch veranlagten Menschen leuchten solche Vorkommnisse unmittelbar ein, lebt doch die Poesie – Symbolik und Symbolbewusstsein überhaupt – von solcher Übereinstimmung innerer Vorgänge und äußerer Bilder. Die Welt als Spiegel der Seele, des Bewusstseins. In den weiteren Umkreis der Thematik gehören aber auch Zusammenhänge zwischen Bildern, Motiven, Träumen, Intuitionen, Visionen und künftigen Ereignissen. Das Unbewusste, heißt es, ist schöpferisch. Es kann dem Menschen, der den Bildern mit Verständnis begegnet, zur Entwicklung verhelfen, es kann den, der von ihnen nur fasziniert und überwältigt wird, aber auch verschlingen. Genie und Wahnsinn, Erleuchtung und Umnachtung, Sinn und Unsinn, Dichtung und Verrücktheit liegen bekanntlich dicht beieinander.

Orakel faszinieren Menschen schon immer in besonderer Weise. Das sich in der – nur scheinbaren – Außenwelt spiegelnde Unbewusste ermöglicht den Blick ins Innere oder die Zukunft, seien es Eingeweide von Tieren, eine Landschaft, der Zug der Vögel, Sterne oder Schafgarbenstengel. Letztere werden beim I Ging benutzt, mit dem sich C.G. Jung und Richard Wilhelm, aber auch Anagarika Govinda gründlich auseinandergesetzt haben. Auch ich habe vor Jahrzehnten dieses alte Weisheitsbuch in der Übersetzung von Richard Wilhelm samt Kommentar nicht nur gelesen, sondern auch fast täglich praktisch genutzt. Dass Orakel selten eindeutig, sondern mehrdeutig sind, haben viele klassische Helden leidvoll erfahren. Der glückverheißende Sinn stellt sich im Nachhinein als Unglück heraus, das scheinbar Offensichtliche, vermeintlich Gemeinte wird vom Hintergründigen, verborgenen Sinn eingeholt, überholt. Der an der Zukunft Interessierte muss sich schon weit von seinen Wünschen und Vorlieben – seinem Ich – entfernen können, um dem Zukünftigen – statt dem Erwünschten, Erhofften, Bevorzugten und Erträumten – die Chance zu geben, sich zu zeigen („Dein Wille geschehe…“). Dass dies möglich ist, habe ich 1989 in beeindruckender Weise erfahren.

Eines Tages – das Zusammenleben mit einer Studentin der Psychologie, der ich 1984 auf geheimnisvolle Weise begegnet war, war im fünften Jahr schwierig geworden – warf ich die Stengel und zählte sie in der vorgeschriebenen Weise aus. Das Bild, das sich dabei nach und nach aufbaute, war das Bild Nr. 54. „Der Mann geht voran, das Mädchen folgt ihm erfreut. Es wird der Eintritt des Mädchens in das Haus des Mannes geschildert […] Gui Me, die Heirat des Mädchens, endlich zeigt einen älteren Mann, dem ein junges Mädchen zur Ehe folgt. […] Allein jede Verbindung von Menschen untereinander schließt die Gefahr in sich, daß sich Verirrungen einschleichen, die zu endlosen Mißverständnissen und Unzuträglichkeiten führen. Darum gilt es, das Ende dauerhaft in Betracht zu ziehen […] Fördernd ist die Beharrlichkeit eines einsamen Menschen.“

Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, dass meine Freundin zufällig meinen zwanzig Jahre älteren Freund und Lehrer besucht und eine Beziehung mit ihm begonnen hatte. Wenige Monate später heirateten die beiden. Mein Leben nahm damals eine schmerzliche und überraschende Wendung, für die ich heute noch dankbar bin. Mein Weg führte, wie das Laufen im nahen Wald damals durch einen dunklen Tunnel aus Bäumen, durch die Einsamkeit ins Licht. Die Ehe der beiden ging später in die Brüche. Sie heiratete mehrfach wieder und mein Freund und Lehrer geriet in schwierige Umstände.

Das I Ging kann ich auch heute noch jedem zur Lektüre empfehlen, der Einblicke in die Vielfalt an Lebenssituationen, mögliche Entwicklungen, mögliche Gefahren gewinnen möchte. Die Schafgarbenstengel habe ich seitdem nicht mehr benutzt. Aber auch beim bloßen Blättern in diesem Buch, wie jetzt seit langer Zeit wieder, springen einem Zeilen in die Augen, die man als Wegweisung oder Warnung verstehen kann.

Wem der Schleier sich aber einmal überraschend gelüftet hat, zieht das Nichtwissen in Demut und Ehrfurcht vor dem Geheimnis den vieldeutigen Möglichkeiten zukünftigen Wissens vor.