Benedikt Maria Trappen
Das Werk des Holzschneiders Heinz Stein braucht keinen Fürsprecher. Es spricht für sich selbst, setzt sich selbst ins Bild und ins rechte Licht. Erläuterungsbedürftig ist allein der unwahrscheinliche Zufall, dass das Werk des 1934 in Gelsenkirchen geborenen, beruflich aus dem EDV Bereich kommenden, an der Essener Folkwang Schule für Gestaltung ausgebildeten, seit 1966 ernsthaft künstlerisch tätigen, durch zahlreiche Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen international bekannten Künstlers 2013 auch ins Saarland gefunden hat – eine durch den Bergbau der Heimat von Heinz Stein verbundene Region – und ich die Freude und die Ehre hatte, in diese außergewöhnliche Ausstellung einführen zu dürfen.
1980, drei Jahre nach der – mehr oder weniger freiwilligen – Übersiedlung der Familie Kunze aus der DDR in die BRD – erhielt ich als Antwort auf meine Zuschrift anlässlich der hämischen, der Person, wie der Sache nicht gerecht werdenden Spiegel-Besprechung seiner Verfilmung der Prosatexte Die wunderbaren Jahre – Sie können die Besprechung von Wolf Donner vom 11. Februar 1980 im Internet heute noch nachlesen unter dem Titel „Erstürmt die Höhen der Kultur“ – einen ausführlichen, einfühlsamen und ermutigenden Brief von Elisabeth Kunze, dem bald das von Reiner Kunze mit einer Widmung versehene und von dem mir unbekannten Künstler Heinz Stein mit einem wunderbaren Holzschnitt versehene und signierte literarisch-grafische Blatt „Abbitte nach der Reise“ folgte. Meine Freude und Überraschung waren unermesslich. Die dem Gedicht beigefügte Grafik sprach mich tief an und prägte sich ein. Hier war kein Strich zu viel, keiner an der falschen Stelle. Ins Sichtbare gebracht war nur das Notwendige, das Unverzichtbare. Die Formen waren neu, originell, einzigartig. Was mich ebenso tief ansprach war das in einander Über- und aus einander Hervorgehen von Mensch und Mensch, Mensch und Natur. Dieses Blatt war mein erster großer Schatz. Von Toni Pongratz, der damals in Hauzenberg nahe Passau gerade seine Edition eröffnet hatte, als deren 135. Heft vor kurzem „Vor unserer Schwelle“ von Reiner Kunze erschienen ist, ließ ich mir weitere Blätter von Heinz Stein zur Ansicht schicken und erwarb schließlich zwei weitere Holzschnitte, die mich tief ansprachen. „Sonne und Meer“ und „Der Sammler“.
In „Sonne und Meer“ war – und ist – es das alles überstrahlende und durchdringende Licht, das mich faszinierte und sein Zusammenspiel mit Wasser, Mensch und Natur. Aber auch hier wieder: Das Miteinander, in einander Über- und aus einander Hervorgehen, sich wechselseitig Zureichende von Mensch und Mensch, Mensch und Natur. Welt als Schöpfung und Kunst als Schöpfung. Das Geheimnis der Schöpfung, das Licht der Schöpfung, das Wasser des Lebens, aus dem alles hervorgeht und die Sonne, die wärmt, erhellt, erleuchtet: All das sprach mich tief an, ohne dass ich damals auch nur das Geringste dazu hätte sagen können. Dieses Bild wurde mir in den folgenden Jahrzehnten zu einem Sinnbild für das, was mir zu entdecken bestimmt und aufgegeben war.
Ähnlich erging es mir mit „Der Sammler“. Auch dieses Bild drückte ein Geheimnis aus, das mein Leben mir in den folgenden Jahrzehnten nach und nach erst entdeckt hat. Der Sammler entdeckt auf seinem Weg Bilder – der Natur, der Welt, auch Selbstbilder. Er sucht nicht. Er findet. Sie begegnen ihm. Und er hebt sie auf, findet für sie den richtigen Rahmen, den richtigen Ort, setzt sie ins rechte Licht und kommt so zu einer Sammlung – auch im Sinne von Konzentration, Kontemplation – die sein Leben nicht nur bereichert und verschönt, sondern die sein Leben wesentlich ausmacht und trägt. Eines der Bilder zeigt den Fisch, den lebendigen Fang, den Fund, und die rot leuchtenden Früchte, die Ernte, den reifen Ertrag seines Vorgehens. Auf einem anderen Bild schauen wir mit dem Sammler sehnsuchtsvoll dem Flug der Vögel in Freiheit nach.
Ihre Botschaft oder vielmehr: die Botschaft meiner Begegnung mit diesen Kunstwerken haben diese Holzschnitte in 42 Jahren durch neun Wohn- und Arbeitsstätten getragen, erhellt und vertieft. Doch während der Briefwechsel mit Reiner und Elisabeth Kunze bis heute andauert, habe ich den Schöpfer dieser Werke bis 2012 merkwürdiger Weise nicht gekannt.
Erst 2011 – aus dem Studenten der Germanistik und Philosophie von damals war, ziemlich unerwartet, auf wunderbare Weise längst ein Lehrer und Schulleiter geworden – kam mir die Idee, nach dem Künstler zu suchen. Ich fand seine Website und die Website der Edition Xylos, die seine im Dezember 2020 verstorbene Frau Irmgard betreut hatte, mit vielen wunderbaren Texten und Bildern, schrieb dem Künstler und bestellte einige Arbeiten. Am 4. Dezember 2011 bestätigte er die Bestellung und erkundigte sich, wie ich auf seine Arbeiten aufmerksam geworden sei. „Das sind doch Dinge, die einen Künstler interessieren“.
So kamen wir doch noch ins Gespräch. Dass jeder von uns auf seine Weise seit langem mit Reiner Kunze verbunden war, grundierte dieses Gespräch und gab ihm einen eignen Rahmen. Meine Idee, Reiner Kunze anlässlich seines 80. Geburtstages am 16. August 2013 mit einem Band mit Widmungsgedichten zu überraschen, fand dann auch sofort seine Zustimmung. In Elisabeth Kunze fanden wir eine heimliche Verbündete und durch glückliche Fügung hatten wir bald genügend Widmungstexte für den Band zur Hand, darunter Gedichte von Jan Skacel, Ludvik Kundera und Johannes Kühn. Gesundheitliche Bedenken, die auch im Hause Stein mit zunehmendem Alter nicht ausbleiben, ließen uns die Fertigstellung des Bandes vorziehen und wir konnten Reiner Kunze bereits am 16.08.12 zum „Eintritt ins Hohe Alter“ mit 50 handgebundenen unverkäuflichen Exemplaren überraschen, worüber er sich sehr gefreut hat. Zuvor aber war ich erstmals Gast im Atelier Stein in Gelsenkirchen, wo Irmgard Stein uns mit selbstgebackenem Kuchen verwöhnt und Heinz Stein mir freimütig ausgiebigen Einblick in seine Werkstatt und Sammlung gegeben hat. Von neuem tief beeindruckt und reich beschenkt kehrte ich nach Hause zurück. Seitdem haben wir zahlreiche Mails ausgetauscht und miteinander telefoniert. Viele weitere Werke wurden von dort nach hier geschickt, Bilder und Verse fanden zusammen. Neue literarisch-grafische Blätter sind entstanden – „Symbiosen von Wort und Bild“ – und ich weiß nicht, wer in unserem Haus inzwischen häufiger vertreten ist: Heinz Stein oder Christoph Maria Frisch. Auch Christoph Maria Frisch war von den Arbeiten von Heinz Stein tief beeindruckt. „Sonne und Meer“ und „Der Sammler“, die 1985 bereits in der Mainzer Straße 110 hingen, wo ich vorübergehend bei Christoph Maria Frisch und seiner Frau Christiane Zuflucht gefunden hatte, waren auch ihm in Erinnerung geblieben. So kam es zu der schönen Idee, Heinz Stein in das Kunstzentrum Bosener Mühle einzuladen und eine kleine Auswahl seiner Bilder hier auszustellen.
Warum aber „Stein-Zeit“ als Titel dieser Ausstellung? Ist das Werk etwa bereits derart veraltet und unmodern, ein Relikt? Keineswegs. Der Titel sollte deutlich machen, dass das umfangreiche Werk des Künstlers Heinz Stein epochale Bedeutung hat, von prägender und bestimmender Kraft ist. Jedes große epochale Werk trägt seine Zeit in sich und entfaltet sich als diese. Die Signatur, die das 1966 ernsthaft begonnene Werk von Heinz Stein hinterlassen wird, ist unverwechselbar und unverkennbar, auch wenn es von Einflüssen – die nicht mit Vorbildern verwechselt werden dürfen – sicher nicht frei ist. Zu diesen zählen der Maler und Druckgrafiker Hansen-Bahia, der belgische Grafiker, Maler und Zeichner Frans Masereel, der von 1947 bis 1951 übrigens im Saarland gelebt und gelehrt hat, und sicher auch Harp Grieshaber, für den Heinz Stein später auch Drucke hergestellt und überwacht hat.
Das künstlerische Universum von Heinz Stein entzieht sich einer Einordnung zwischen Moderne, Postmoderne und den vielfältigen Richtungen und Stilen des 20. und 21. Jahrhunderts. Seine Themen sind ebenso zeitgebunden wie ewig, ebenso politisch wie mythisch, ebenso anthropologisch wie psychologisch, philosophisch, theologisch und existentiell. Das Werk eines großen Humanisten. Nicht ohne Grund hat Heinz Stein wiederholt Motive für Amnesty International gestaltet, zuletzt zu Pfingsten 2013 eine Tasse mit dem Motiv „Katz und Maus“. Und nicht ohne Grund hat er seine Holzschnitte wichtigen – auch politisch wichtigen – literarischen Werken hinzugefügt. An erster Stelle stehen hierbei Günter Grass, Heinrich Böll und Reiner Kunze.
Dass gleichwohl der Holzschnitt nicht sein einziger – wenn auch unzweifelhaft sein wichtigster und bedeutendster – künstlerischer Ausdruck ist, sei hier nur am Rande erwähnt. Heinz Stein hat daneben zahlreiche Skulpturen geschaffen, unzählige Verse gedichtet und auf Bühnen getanzt und gespielt.
Vieles wäre noch zu sagen: über die Auswahl der Hölzer, ihre Weichheit oder Härte, die Integration natürlicher Strukturen wie Maserung oder Beschädigungen ins Bild, die Notwendigkeit der Herstellung mehrerer Druckstöcke für ein farbiges Bild und die Entwicklung des damals unüblichen Verfahrens, mehrere Farben in einem Druckvorgang aufzutragen. Heinz-Albert Heindrichs, Jörg Loskill und Horst Pfeiffer haben vor Längerem bereits Erhellendes dazu geschrieben (siehe unten).
Ich habe die Arbeit und das Werk des Holzschneiders Heinz Stein, wie sie mir erscheinen, in einem kleinen Vers verdichtet:
VERZICHT
ODER
DIE HOHE KUNST DES HOLZSCHNEIDENS
für Heinz Stein
Wegnehmen
was nicht notwendig ist.
Das Wesentliche bleibt
sichtbar.
Ich möchte mit einem Vers zu Ende kommen. Gesundheitliche Probleme erschweren das Altwerden auch im Hause Stein. 2012 teilte mir Heinz Stein in einem Brief unter anderem auch mit, dass er in diesem Jahr keinen Holzschnitt vollenden konnte. Ich habe in einem Gedicht dem Zitat aus diesem Brief folgenden Vers hinzugefügt:
Kein Holzschnitt 2012.
Auch ein Einschnitt.
Umso mehr hat es mich gefreut zu hören, dass 2013 wieder Drucke und Reliefs entstanden sind.
Nutzen Sie, liebe Leserinnen und Leser, die noch verbleibende Zeit. Begegnen Sie den Werken des Künstlers Heinz Stein, lassen Sie sich von ihnen beeindrucken und investieren Sie in Schönheit, Geist und das Wissen um das Geheimnis der Schöpfung und ihre Gefährdung.
Meine beiden, 1981 für die Hälfte meines monatlichen Studentenunterhaltes erworbenen Werke haben sich längst als unbezahlbar erwiesen.
Noch ist der Künstler unter uns. Sie finden ihn in seinem Atelier in Gelsenkirchen, das nicht nur in der Adventszeit Gästen immer noch offensteht. Sollten Sie ihn im Laufe der Zeit auch dort nicht mehr antreffen, können Sie sicher sein, dass er ist in sein Werk eingegangen ist.
Heinz-Albert Heindrichs: Sanfte Magie. Der Holzschneider Heinz Stein. Essen 1979
Jörg Loskill: Ein Ästhet mit dem Stichel. Der Holzschneider Heinz Stein. Rottendorf 1981
Horst Pfeifer: Orpheus blickt zurück. Zum 50. Geburtstag des Holzschneiders Heinz Stein. Hauzenberg 1984