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Abhängigkeit und Freiheit

Lama Anagarika Govinda

Die meisten Menschen fürchten sich mehr vor der Freiheit als vor der Knechtschaft. Es ist viel bequemer, anderen zu folgen als dem eigenen Urteil und Gewissen, was immer wieder neue Entscheidungen und Anstrengungen fordert und uns mit dauernder Verantwortung belastet.

Dies zeigt sich am stärksten in den Religionen, in denen der Durchschnittsmensch, um sich der eigenen Verantwortung zu entledigen, ins Dogma flüchtet. Den Sinn der Selbstverantwortung wieder erweckt zu haben, ist eines der größten historischen Verdienste der buddhistischen Mystiker (Siddhas) des indischen Mittelalters, die die Geborgenheit und die Bequemlichkeit des klösterlichen Lebens aufgaben und in der Suche nach Erleuchtung als einsame Pilger in die Heimatlosigkeit zogen, wie seinerzeit der Buddha es getan hatte. Ihre oft exzentrische Lebensführung und paradoxe Lebensweise (die oft an Zen-Methoden erinnert), war eine Reaktion und ein Protest gegen die selbstgerechte Tugend und dogmatische Engherzigkeit.

„Das Gebotehalten allein, selbst das ehrlichste, genügt nicht,“ wie Meyrink so treffend sagt, „um das innere Wachstum zu fördern, denn es ist nur die äußere Form. Oft ist das Gebotebrechen das wärmere Treibhaus. – Weil ein Heiliger nur gute Taten vollbringt, so wähnen sie, sie könnten durch gute Taten Heilige werden.“

Keiner der großen Meister der Erleuchtung ist je aus der geborgenen Welt der Klöster hervorgegangen. Erleuchtung kann nicht wie eine Gabe an andere verschenkt werden. Sie muss erworben werden nach unendlichen Leiden, in den einsamen Kämpfen unseres innersten Herzens, – in der Einsamkeit der Wälder, der Bergwildnis, in der Stille einer Felsenhöhle oder in der Unendlichkeit der Wüste. Das sind die Orte, an denen die großen Entscheidungsschlachten des menschlichen Geistes geschlagen wurden. Der Weg der Großen war immer ein Weg der Einsamkeit und der völligen Unabhängigkeit von menschlichen Urteilen – und Vorurteilen.