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Leben und Schreiben

Benedikt Maria Trappen

Es ist wahr: wenn ich anders könnte, würde ich nicht schreiben. Und „anders können“ heißt „leben“… In meinem Alter schreibt man nicht mehr, weil man sich für einen Schriftsteller oder Dichter hält. Eigentlich hat man mit dem Schreiben längst aufgehört, sich von dem einst mit Begeisterung und Überzeugung Hervorgebrachten gründlich distanziert und Schöpfungen des Unbewussten darin erkannt, die nicht zu großer Literatur, wohl aber zu Mitteln und Wegen taugen, dem Menschen – überraschend und ungewollt – Aufschluss über sich selbst zu geben. Diese Einsicht allein – man ahnt es vielleicht – ist schmerzlich genug und lässt für den weiteren Prozess, dessen Anfang sie nur markiert, wenig Freudvolles erwarten. Doch auch darin täuscht sich der Mensch…

Was kann es sein, das einen, der diesen Prozess auch nur ein Stück weit durchlaufen hat, nach Jahren noch einmal zum Schreibtisch zurückbringt? Vielleicht, dass es ihm in seiner allzu großen Vereinsamung und Zurückgezogenheit, seinen Schmerzen, seiner Verzweiflung, seinen Freuden und Ekstasen sicher auch, unwohl geworden ist, er über die lange Zeit genügende und lebensnotwendige Gesellschaft zahlreicher Bücher und Autoren hinaus das Bedürfnis nach wirklichen Menschen wieder verspürt, mit denen es ihm möglich wäre, das tief Erfahrene und flüchtig Notierte zu teilen – ein Wunsch, der, wie man weiß, im wirklichen Leben oft versagt bleibt und  sich einzig im Schreiben noch verwirklichen lässt. Es ist ernst geworden für ihn, der über allem Sinnen und Denken seinen Platz im Leben zu finden versäumt hat und der nun, wacher geworden, im Schreiben seine vielleicht letzte Möglichkeit erkennt zu leben…

Hier nun fängt die Literatur an, vielleicht auch die Wissenschaft von Ereignissen und Dingen, die sich nur behutsam berühren und andeuten lassen, vielen unbedeutsam und fern, dem Schreibenden selbst aber zur einzigen Gewissheit und Frag-würdigkeit seines wissen- und erkennen wollenden Lebens werden. Ein Abenteuer, das seine Weiten, seine Höhen und Tiefen nicht mehr vornehmlich im Draußen sucht und findet, wenn es auch zumeist unumgänglich bleibt, in der Verkleidung des Waldarbeiters, des Musiktherapeuten oder Journalisten, des Grundschullehrers vielleicht, sich selbst und anderen zu erscheinen.

Solchen Anfang zu finden heißt, in einem plötzlichen Moment jäh sich der Illusion benommen zu finden, jemals und für immer am Ziel zu sein, heißt, der Ungeheuerlichkeit unwiderruflich sich bewusst zu werden, in diesem Kosmos zu existieren und sterblich zu sein, heißt – in gewissem Sinn – zu sterben, um neu geborenen zu werden. ES ist nicht mehr ICH das nunmehr lebt, endlich befreit, auferstanden aus Angst und Schrecken zu tiefer Lebensfreude und Innigkeit.