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Wat Phrabatnampu – der neue Film von René Wiesner

Thomas Wolter im Gespräch mit Ernst-Steffen Blechkolbe

Wat Phrabatnampu ist ein buddhistischer Tempel etwa 150 km nördlich von Bangkok. Der dortige Abt Phra Alongkott gab im Alter von 26 Jahren seine Tätigkeit als Ingenieur im Landwirtschaftsministerium auf, um buddhistischer Mönch zu werden. Nachdem er sich lange der Meditation widmete, führte ihn die Begegnung mit Aids-Patienten Anfang der 1990er Jahre zur Entscheidung, seinen Tempel in ein Hospiz zu verwandeln. Er schuf eine Stätte, in der an Aids Leidende Aufnahme und Pflege finden. Der deutsche Regisseur René Wiesner veröffentlichte 2021 den Kurzfilm Der Aids-Tempel Wat Phrabatnampu. Wiesners Filme wurden mehrfach auf Festivals ausgezeichnet, unter anderem Das Wundern des jungen Ulysses (2019) beim Unschärfe Filmfest 2020 als bester Experimentalfilm. Zum Erscheinen von Der Aids-Tempel Wat Phrabatnampu sprach Thomas Wolter mit Ernst-Steffen Blechkolbe über den Tempel, den Film und den Regisseur.

Wolter: Der Abspann des dokumentarischen Kurzfilms Der Aids-Tempel Wat Pharabatnampu weist Sie als den ausführenden Produzenten aus. Welche Beziehung haben Sie zu diesem Tempel?

Blechkolbe: Zunächst muss ich betonen, dass die künstlerischen und inhaltlichen Meriten für den Film allein René Wiesner gehören, dem wieder etwas Bedeutendes gelungen ist. Aber zunächst zu Ihrer Frage: Meine Beziehung zu Wat Phrabatnampu geht ein paar Jahre zurück. Im Buch Auf den glückseligen Inseln weist der Philosoph Volker Zotz in einer Anmerkung auf den Abt Phra Alongott hin. Nachdem ich das las, bin ich beim nächsten Aufenthalt in Thailand nach Lopburi gefahren, um den Ort mit eigenen Augen zu sehen. Inzwischen war ich einige Male dort und konnte wiederholt mit dem Abt sprechen. Als ich später hörte, dass René Wiesner sich filmisch mit diesem einzigartigen Platz beschäftigt, war ich sofort Feuer und Flamme.

Was macht diesen Tempel so einzigartig?

Wat Phrabatnampu ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich. Man stößt auf besondere Schicksale nicht nur bei den Hospitz-Bewohnern, sondern auch bei denen, die als Helfer und Besucher aus aller Welt den Weg nach hier finden. Dazu kommt die Atmosphäre eines Ortes, an dem sich in der Kunst und in den Bauwerken spiegelt, wie hier in menschlichen Begegnungen Leben und Tod auf eine seltene Weise aufeinandertreffen. Darum ist es nicht verwunderlich, dass dieser Ort in der thailändischen Öffentlichkeit sehr differenziert gesehen wird und Kontroversen auslöst.

Welche Kontroversen?  

Drei Beispiele möchte ich nennen, die mir in persönlichen Gesprächen und in den thailändischen Medien begegnet sind. Da stand einmal die Zurückhaltung bei der Gabe von Medikamenten, die das Leben der Menschen verlängern können, in der Kritik. Auch die Tatsache, dass sterbliche Überreste ehemaliger Bewohner ausgestellt werden, störte manchen. Schließlich gab es Vorwürfe, der Tempel mache das Schicksal schwer kranker Menschen zur Einnahmequelle.

Ist an diesen Kritikpunkten etwas dran?

Das ist eine Frage der Perspektive. Im traditionellen Sinn religiöse Menschen sehen vieles anders als der heutige Mainstream. Ich denke an Vorwürfe, die man Mutter Theresa machte. Sie wollte in Kalkutta das Leid Sterbender lindern, die sie auf der Straße auflas. Gesellschaftliche Ursachen des Elends hinter dem Sterben interessierten sie nicht. Das war für manche unbegreiflich. Doch hat ihr Verständnis des Christlichen die Armut positiv gesehen, weshalb man nichts dagegen tun soll. „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher zum Himmel.“ Phra Alongkott ist Buddhist der Theravāda-Konfession. Für ihn ist die Sterblichkeit etwas, gegen das er nichts unternehmen will. „Sabbe saṅkhārā aniccā,“ heißt es in einem seiner täglichen Gebete, was bedeutet: Alles Gewordene muss vergehen. Die Konfrontation mit dem Sterben ist die Chance auf Fortschritt im Lauf der Wiedergeburten oder auf die vollkommene Freiheit des Nirvāṇa. Darum gibt es im Theravāda meditative Übungen, bei denen man tote Körper in zunehmenden Verfallsstadien visualisiert, um sich mit dem Vergehen zu versöhnen. Das ist der Hintergrund der in Wat Phrabatnampu ausgestellten Mumien und Kunstwerke aus sterblichen Überresten, von denen René Wiesner viele Beispiele zeigt. Wer das Leben verlängern oder soziale Bedingungen ändern will, um gegen die Wurzeln von Krankheit und Tod zu kämpfen, tut sich schwer, mit der traditionellen Auffassung. Im extremen Fall träumen Transhumanisten vom Verewigen des Lebens mit technischen Mitteln. Solche Leute stört jedes Memento mori. Allerdings muss ich sagen, dass nach meinen Informationen die Bewohner des Hospizes von Wat Phrabatnampu heute auf Wunsch Medikamente erhalten.

Sie erwähnten noch den Vorwurf, man benutze Aids-Kranke, um Spenden für den Tempel zu generieren.   

Es selbstverständlich, dass man für ein solches Projekt Spenden sammelt. Phra Alongkott plant weitere Unterkünfte und Krankenhäuser. Oft wurden die Bewohner des Hospizes von Angehörigen verstoßen, weil Aids-Kranke als Makel der Familie gelten. Hier leistet der Tempel wertvolle Arbeit. Aber an der Kritik mag etwas Prinzipielles stimmen. Je mehr Spenden fließen, umso größer wird die Institution und umso mehr Spenden braucht sie dann, um das Gewachsene zu erhalten. Diese Eigendynamik hat jede Institution, die Probleme lösen möchte, sei es im sozialen Bereich, im Umweltschutz oder anderweitig. Um sich als Institution mit Funktionären, Mitarbeitern und Infrastruktur zu erhalten, muss das Problem weiter bestehen, das man zu lösen antrat. Das ist eigentlich ein Widerspruch. Aber man wird sehen, wie sich Wat Phrabatnampu in Zukunft entwickelt. Auf jeden Fall leistet der Tempel seit drei Jahrzehnten wertvolle Arbeit als Zufluchtsstätte für Personen, die keinen anderen Ausweg haben. Das wird inzwischen auch weitgehend öffentlich anerkannt. 2019 erhielt Phra Alongkott den Menschenrechtspreis der thailändischen National Human Rights Commission.

René Wiesners Dokumentation thematisiert die von Ihnen angesprochenen Probleme nicht.

Nein, betrachtet man es oberflächlich, und doch, wenn man genau hinsieht. Wiesners Film behandelt alles Wesentliche, was mit Wat Phrabatnampu zu tun hat, auf die eigene dichte Weise dieses außergewöhnlichen Regisseurs. Seine Art des Herangehen unterscheidet sich grundlegend von der gewohnten Praxis eines im Mainstream arbeitenden Journalisten. Wollte ein solcher über den Tempel berichten, würde er Informationen wiedergeben, die vordergründig als faktisch gelten. Er würde vielleicht auf die von mir genannten Dispute um den Tempel eingehen. Höchst wahrscheinlich würde er berührende menschliche Schicksal vorstellen. Aber solche Dokumentationen sind immer problematisch, weil kein Einzelfakt und kein Einzelschicksal wirklich das Ganze repräsentiert. Was man gemeinhin als Dokumentation versteht, ist durch die Auswahl der Daten und Bilder eigentlich meist bloßer Schein.

Aber die Sprecherin in Wiesners Film konfrontiert uns mit Fakten und Daten.

Ja, man hört Zahlen der thailändischen Aids-Statistik und sachliche Angaben zur Arbeit des Tempels. Dazu aber sieht man eindrucksvolle Bilder, die in gewollter Diskrepanz eine andere Sprache sprechen, die nicht eine Welt aus scheinbaren Tatsachen aufbauen. René Wiesner holt keinen Aids-Kranken vor die Kamera, der sein Schicksal schildert. Allenfalls sieht man von weitem eine Person am Stock gehen oder einen allerdings leeren Rollstuhl. Andererseits kommen zu den Textinformationen viele Tiere ins Bild, Fliegen, Affen und Hunde, Hühner und Katzen. Da illustriert das Gezeigte nicht unmittelbar das Gesagte. Aber was geschieht hier? Wie man tiefe Literatur nicht zuletzt zwischen den Zeilen lesen muss, ist bei Wiesners Filmen immer ein Sehen und Hören zwischen Bild und Text gefordert.

Das klingt anspruchsvoll.

Ja, aber es klingt nur so. Dank der Kunst des Regisseurs wird der halbwegs offene Zuschauer und Hörer quasi von selbst zu einem adäquaten Wahrnehmen geführt. An anderen Passagen des Films hilft der Text unmittelbar zum Verständnis des Gesehenen, etwa wenn erklärt wird, worum es sich bei den Plastiken aus sterblichen Überresten handelt. Aber René Wiesners Text beschränkt sich hier auf das Notwendige und begräbt die ergreifenden visuellen Eindrücke nicht unter einem verbalen Wulst aus vermeintlichen Aufschlüssen.

Diese Sequenz mit den Kunstwerken aus Knochen und mehr noch die folgenden Aufnahmen mumifizierter Leichen könnten zart besaitete Gemüter verstören.     

Für Phra Alongkott hat diese Ausstellung der Leichen einen Hintergrund, der in den Heiligen Schriften des Buddhismus wurzelt, etwa in dem Text Satipaṭṭhānasutta, der im Theravāda höchste Achtung genießt. Darin sagt der Buddha, man soll in der Meditation ein Skelett sehen, an dem sich noch Reste von Muskeln und Blut finden. Dieses stellt man sich dann immer weiter zerfallend vor und schließt dann auf sich selbst: „Auch mein Körper ist so beschaffen, ich entgehe diesem Verfall nicht.“ Ja, das kann verstören, aber diese Störung der Sicherheit, in der man leben möchte, ist von Phra Alongkott mit seiner Schau toter Leiber beabsichtigt. Es geht um den Effekt, den man früher in Europa anstrebte, wenn zu Beginn der Fastenzeit ein Aschekreuz auf die Stirn gemalt wurde mit der Mahnung, dass man wieder zu Staub zerfallen wird, aus dem man gekommen ist.

Angstmache?

Nein purer Realismus, denn es ist ja tatsächlich so. Und es hört auch nicht auf so zu sein, wenn ich den Tod aus meinem Bewusstsein dränge. Irgendwann holt er mich ein. Also befreunde ich mich besser mit ihm. In diesem Sinn fängt die Kamera in René Wiesners Film eine Tafel ein, auf der Phra Alongkott in thailändischer und englischer Sprache seine Ausstellung kommentiert: „Frightening Stuff – So what in the world is most frightening? Having looked everywhere, nothing at all!“ Es geht nicht um Angstmache, sondern um ein Überwinden der Angst, indem man die Dinge sieht und akzeptiert, wie sie sind. Hat man die Wirklichkeit des Menschseins als „Sein zum Tode“ erkannt, wie der Philosoph Martin Heidegger sie treffend charakterisierte, muss die Furcht vor dem Tod nicht mehr die Lust am Sein trüben.

Herr Blechkolbe, wir danken für das Gespräch.

Der Film kann auf dem YouTube-Kanal des Regisseurs gesehen werden.