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Fanjing und die Brücke in die Zukunft

Thomas Wolter

Warum besucht man, wie der Verfasser dieser Zeilen, auf seinen Reisen in China immer wieder Pilgerstätten, die Maitreya, dem kommenden Buddha, geweiht sind?

Tatsächlich hat es oft Verwunderung hervorgerufen, dass in bestimmten Epochen mehrerer buddhistischer Kulturen der Buddha der Zukunft mehr Aufmerksamkeit genoss als der historische Buddha Gautama Siddhārtha. Ist es nicht sinnvoller sich auf das zu konzentrieren, was nach der Überlieferung einst halbwegs gesichert stattfand, anstatt sich Prophezeiungen über eine unsichere kommende Zeit zuzuwenden?

Wenn Maitreya in vielen buddhistischen Kulturen eine solche Wichtigkeit besitzt, zeigt dies deutlich, dass der Buddhismus neben einem starken konservativen Element, wie jede Religion es fast zwangsläufig enthält, auch eine starke Orientierung auf die Zukunft besitzt. Es geht um eine Hinwendung zu etwas Neuem oder zur Verwirklichung eines Noch-nie-Dagewesenen. Was ist dieses Unbekannte, das dereinst kommen soll?

Der Philosoph Volker Zotz hat in seinem Buch Maitreya. Kontemplationen über den Buddha der Zukunft (1984) die Essenz der Maitreya-Hoffnung wie folgt formuliert: „Mensch und Menschheit treten zurück in die Ganzheit einer Harmonie mit dem Universum, der Natur, – jedoch nicht mehr in einem magisch-präreflexiven Zustande sondern in einem höchst bewußten. Es handelt sich dabei um den Weg der Integration einer kosmischen, überzeitlichen Dimension in das Wesen des Menschen; zugleich um die totale Reintegration des Menschen in den Kosmos in einem Zustande klarster Bewußtheit.“ (S. 75)

Zotz weist mit diesen Worten auf den Einbruch einer anderen Dimension hin, der sich in verwandten Andeutungen zum Beispiel bei Jean Gebser und Sri Aurobindo thematisiert findet. Erinnert sei auch an den späten Martin Heidegger: „Nur ein Gott kann uns noch retten,“ sagte dieser 1966 in seinem berühmten, erst zehn Jahre später veröffentlichten Interview mit Rudolf Augstein.

Das Kommen eines Neuen ist notwendig, aber es wird von Aurobindo, Gebser und Zotz nie exakt oder in konkreten Einzelheiten umrissen. Das ist das Wesen des Unbekannten, dass es eben noch keinem, der darauf hofft, geläufig ist. Man kann die Gestalt Maitreyas darum als die Personifizierung der Hoffnung auf eine Wende zum Guten für die Entwicklung der Welt sehen. Da jedoch die Zukunft niemals erreicht sein wird, weil es immer noch weitere kommende Zeiten gibt, ist Maitreya wohl mehr eine Richtung als ein Ziel. Es ist der Wunsch, dass es für die Menschheit besser, möglichst immer besser werden soll. Dass Maitreya wörtlich „der Liebende“ heißt, ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Hinweis. Maitreya verkörpert vor allem die Liebe. Die Welt muss in Zukunft ein stets liebevollerer Ort werden.

Darum sagt Lama Anagarika Govinda in seinem Buch Der Weg der weißen Wolken, dass Maitreya „- wie die Sonne, bevor sie über den Horizont steigt – die Strahlen seiner Liebe in die Welt sendet, durch die er in unzähligen Formen, durch unendliche Wiedergeburten und durch unendliche Zeit gewandert ist.“ (Auflage 2004, S. 88) Maitreya ist also schon immer mit der Welt verbunden und trotzdem bleibt er ein Kommender.

Dies erkennt man in China, indem die Verehrung des Buddha Maitreya mehrere Aspekte kennt. Man hoffte einerseits auf ein Leben nach dem Tod, indem man sich ein künftiges Dasein in der Gegenwart des liebenden Buddha wünschte. Die buddhistische Kunst Chinas zeigt viele paradiesartige Darstellungen der Sphäre Maitreyas, in welche die Gläubigen nach Ablegen des Körpers gelangen wollten. Andere bezogen die Idee dieser glücklicheren Welt zudem auf das Diesseits. Der vom Maitreya-Glauben inspirierte „Aufstand der Roten Turbane“ (紅巾起義) im 14. Jahrhundert ist eines von vielen Beispielen dafür, dass der Buddha der Zukunft ebenfalls zum Symbol für politisch und sozial motivierte Bewegungen wurde, die durch kollektives menschliches Bemühen eine bessere Welt anstrebten. Auch im Staatskult konnte Maitreya eine Rolle spielen. Kaiserin Wu Zetian (武則天, 624–705) wurde offiziell als eine Inkarnation des kommenden Buddha betrachtet.

Unter den zahllosen Pilgerstätten im Reich der Mitte, die für den Maitreya-Kult bedeutsam sind, ragt der Berg Fanjing im Wuling-Gebirge der Provinz Guizhou im wahrsten Sinne des Wortes hervor. Auf einem gespaltenen Felsenturm, der sich eindrucksvolle hundert Meter über die umliegenden Berggipfel erhebt, stehen zwei durch eine tiefe Schlucht getrennte Tempel. Einer der Tempel ist dem historischen Buddha Gautama Siddhārtha geweiht, der andere dem kommenden Buddha Maitreya.

Die beiden Tempel wurden ursprünglich vor einem halben Jahrtausend erbaut und seither wiederholt erneuert. Man steigt über viele Stufen, es sind annähernd tausend, zwei Stunden zum Tempel des historischen Buddha empor, dem man zuerst Verehrung erweist. Dabei dankt man für das Gewesene, das uns trägt. Dann überschreitet man die tiefe Schlucht über eine geschwungene Brücke zum Maitreya-Tempel.

Was könnte den Weg in die Zukunft, das Heraufkommen eines neuen Bewusstseins der Liebe, besser zum Ausdruck bringen als diese Brücke über einen tiefen Abgrund? Da sie oft in Wolken und Nebel liegt, wird der Eindruck der Ungewissheit, der uns auf dem Weg in die Zukunft begleitet, noch verstärkt. Mir fiel hier oben ein, was Volker Zotz im schon zitierten Buch Maitreya schrieb: „Irgendwann werde ich im Dunst, im schlimmsten Nebel, der gütig zu meinen Augen spricht, steinerne Stufen emporsteigen, um vor ihm zu stehen.“ (S. 82)