Drücken Sie „Enter“, um den Inhalte zu überspringen

Wahrheit, Ewige Wiederkehr, Wille zur Macht

Rüdiger Haas

Der Philosoph und Germanist Benedikt Maria Trappen hat im Oktober 2020 eine vor 30 Jahren entstandene, mit einem aktualisierten Vorwort versehene Arbeit über Friedrich Nietzsche im Verlag Dr. Friedrich Pfeil publiziert, in der er, orientiert am Leitfaden der Auslegung von Karl Jaspers, dessen Hermeneutik mit methodischen Überlegungen und Einwänden konfrontiert und mit wesentlichen Gedanken, auch aus östlichen Denktraditionen, erhellt und weiterführt.

In einem ersten längeren grundlegenden Arbeitsschritt führt Trappen erläuternd in die Grundzüge des Werkes von Jaspers ein. Jaspers gehe es um ein darstellendes Denken, das im Unterschied zur bloßen Beurteilung als geistig-schöpferische Leistung mit hingebend-denkender Anstrengung das hervorzubringen bemüht sei, was im Denken des Anderen liege. Dass eine Deutung nie endgültig abschließend, sondern immer nur vorläufig sein kann, versteht sich auf dem phänomenologischen Boden, auf dem Jaspers steht, von selbst.

Jaspers urteilt, Nietzsches Denken sei kein System, sondern ein leidenschaftliches Seinsuchen, sein Denken sei dialektisch und fixiere sich nirgends, denn jede philosophische Konstruktion müsse an der Wirklichkeit scheitern. Nietzsche gebe den Nachkommenden kein Gehäuse zum Unterschlupf, sondern erwecke sie, einen Weg zum Aufschwung ihres Menschseins zu gehen. Nirgends gebe es in Nietzsches Philosophie ein Zentrum oder Hauptwerk. „Sein Weg, obgleich gerichtet, führt ins Unendliche, verliert den Boden, ohne einen neuen zu erobern; dieses Denken hat seine Substanzialität nur in Gestalt des Auf-dem-Wege-seins“ (26). Der Weg sei Überwindung jeder Seinsgestalt. Auf ihm komme es zum ständigen Sichwidersprechen, was einen wesentlichen Grundzug von Nietzsches Denken ausmache. Jaspers nennt dieses Phänomen unendliche oder reale Dialektik. Nietzsches Leben sei Ausnahmesein. Trappen sieht im Problem der Selbstüberwindung das Kern-Thema der Nietzscheschen Philosophie. Durch einen solchen Prozess soll der Mensch wieder Besitz von sich selbst gewinnen. Trappen greift diesen wichtigen Punkt auf und vertieft ihn. Er verweist auf Karl Löwiths werkimmanenten hermeneutischen Ansatz – das Spätere sieht Löwith im Früheren keimhaft angelegt – und auf Richard Lowell Howey`s Modell der anthropologischen und kosmologischen Ebene. Howey betont, Jaspers` hermeneutisches Modell sei deswegen unzureichend, weil Jaspers zwar den Prozesscharakter des menschlichen Daseins herausarbeite, die anthropologische Ebene aber von der kosmologischen nicht unterscheide. Es handle sich bei Nietzsche um eine Überwindung des ICH, die als solche zugleich SELBST-Werdung bedeute als schöpferischer Prozess. Diese beiden kritisch-konstruktiven Ansätze führen über Jaspers hinaus. Durch den Einbezug der ethnologischen und religionsgeschichtlichen Forschungen von Mircea Eliade gelingt es Trappen überzeugend, diese Deutung zu fundieren.

In weiteren Arbeitsschritten interpretiert der Autor ebenso sorgfältig die Phänomene Wahrheit, Ewige Wiederkehr und Wille zur Macht. Der Mensch sei geschichtlich und finde in den Dingen nur das wieder, was er selbst in sie hineingelegt habe, sei selbst nur der Text, den er lesen könne. Leben sei notwendig Irren, aber auch Möglichkeit der Einsicht in dieses Irren, das damit aber nicht aufgehoben werde. Wahrheit wird für Nietzsche als fortwährende Vernichtung unvermeidlicher Illusionen zu einem Zugrundegehen. Wahrheitsstreben wird dadurch zur Bedingung von Gerechtigkeit, die die höchste Meisterschaft auf Erden sei. Es ist die Haltung grundsätzlicher Bejahung, die alle Dinge in ihrer Notwendigkeit gelten lässt. Jaspers bezeichnet die unablässige Bewegung in Nietzsches Leben als reale Dialektik. Nicht nur Ideen, gelebtes Leben, gelebte Wahrheiten werden überwunden. Erkannte Fehler und Irrtümer seien immer auch eigene Fehler, Überwindung zugleich Selbstüberwindung. Der Weg zur Freiheit bedeute, dass der Mensch mit seinem ganzen Wesen – also im gelebten Leben, nicht nur in der Möglichkeit, im Vorsatz, in der Idee – in den Abgrund springen und nicht vom Negativen absehen, sondern ihm ins Angesicht schauen muss. Mit dieser, von Hegel stammenden Formulierung, macht Trappen klar, dass er – ähnlich wie Karl Löwith, aber doch anders – Nietzsche im Licht Hegels liest und versteht.

Mit dem Phänomen der Ewigen Wiederkehr geht Trappen schließlich auf die Grundprobleme des metaphysischen Denkens ein. Mit Nietzsche habe die Abwendung vom klassischen Metaphysik- Verständnis entscheidend begonnen. Im metaphysischen Denken gehe es um das Sein, die Existenz, das In-der-Welt-Sein des Menschen. Das Symbol des Übergangs von der subjektiv-anthropologischen in die kosmologische Dimension veranschaulicht Trappen im Bild der im Zenit stehenden Sonne „sowie des plötzlichen und überwältigenden Aufstiegs einer in deren Licht geringelt liegenden Schlange und deren Durchbruch durch die Querbalken eines Kreuzes, was an den gefährlichen und alles entscheidenden Augenblick des Aufstiegs der Schlangen-Kraft, der Kundalini, in der entsprechenden Yoga-Form erinnert“ (84). Die Ewige Wiederkehr schließe die Erlösung alles Vergangenen in sich und bringe in der Wiederkehr die Bejahung, die Liebe zum Leben zurück. Ewigkeit sei dann in jedem Augenblick, und anstelle der Behauptung einer anderen, metaphysischen nicht-sinnlichen Welt ändere sich das In-der-Welt-Sein des Menschen im gegenwärtigen Leben. Die andere Welt ist dieselbe Welt, aber anders, Über-Sinnlichkeit eine höhere Weise der Sinnlichkeit. So werde die Ewige Wiederkehr zur Religion der Religionen. „Die Ewige Wiederkehr erweist sich damit als eine Umkehrung der Zeit. Nicht zurück zu können, ohnmächtig dem Vergangenen als der das Gegenwärtige unabänderlich bestimmenden Macht nur ausgesetzt zu sein, ist das, was den Ingrimm des unerlösten, am Leben leidenden Menschen ausmacht. In der ewigen Wiederkehr läuft die Zeit zurück und bewirkt so die Erlösung alles Vergangenen“ (93).

Trappen weist auf den Zusammenhang des Erlösungscharakters der Ewigen Wiederkehr mit der Psychoanalyse und dem Yoga hin, die ähnliche, zeitlich rücklaufende Techniken anwenden. Auf Mircea Eliade verweisend betont er, dass die Rückkehr in die Gewesenheit eine Gegenwart sei. Der Yogi erreiche das Heraustreten aus der Zeit, indem er sie rückwärts durchlaufe. In einem Prozess der Regression werde der Yogi im Sterbeprozess des profanen Lebens für ein übermenschliches Leben wiedergeboren. Die Haltung des auf sich selbst Zurückgeworfenen, der sich im Begreifen der Ewigen Wiederkehr der dionysischen Bejahung des Lebens bewusst geworden ist, wird von Nietzsche „amor fati“ genannt. In ihr fallen Zufall und Notwendigkeit zusammen, weshalb Nietzsche von sich selbst sagt, amor fati sei seine innerste Natur.

Es ist ein Verdienst von Trappen, Jaspers Interpretation aus den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts auf erregende Weise neu vorgestellt und mit der Erhellung des Phänomens der Selbstüberwindung eine weiterführende, fruchtbare, auch philosophie-geschichtlich erhellende Sichtweise entwickelt zu haben.

Zusammen mit Trappens Nietzsche-Interpretation erschien im selben Verlag ein zweites Buch des Autors, in dem er unter dem Titel Ach, dass ich doch erst Befreiter wäre. Friedrich Nietzsche – Eine Lebensgeschichte in Briefen eine Auswahl von Brief-Zitaten Nietzsches auf 130 Seiten zusammengestellt hat. Trappen kommentiert vorab, diese dem schöpferischen Prozess zu Grunde liegende Kraft entspreche dem, was in der indischen Philosophie mit Kundalini-Shakti bezeichnet werde. Es gehe hier um die Aufhebung der Religion in der Menschwerdung des Menschen. Und der frühere ZDF-Korrespondent, Filmemacher und Autor Kiu Eckstein bestätigt: „Deutlicher, als in diesen Briefen, könnte Nietzsches tiefes Wissen von dem, was mit ihm geschieht, was ihm auferlegt ist – und das von früh an – nicht zum Ausdruck kommen. Eine großartige Auswahl.“ – Dem ist nichts hinzuzufügen.

Benedikt Maria Trappen: Wahrheit, Ewige Wiederkehr, Wille zur Macht. Grundthemen Nietzsches in der Auslegung von Karl Jaspers. Verlag Dr. Friedrich Pfeil. München 2020. ISBN 978-3-89937-259-5 (Print). 120 Seiten.

Anmerkung: Es handelt sich bei dieser Rezension um die gekürzte Fassung einer ausführlicheren Besprechung, die im September 2021 in dem von José Sánchez de Murillo herausgegebenen Jahrbuch für Dichten, Denken, Musik AUFGANG erscheinen wird.
Obiges Bild von Karl Jaspers aus dem Jahr 1966 stammt aus der ETH-Bibliothek Zürich.