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Regisseur der Hinfälligkeit: René Wiesner

Ernst-Steffen Blechkolbe

Der Filmemacher René Wiesner ist heute ein Geheimtipp. Manches spricht dafür, dass das so bleibt; Gewichtiges spricht allerdings auch dagegen. Wenden wir uns zuerst einem Grund zu, weshalb es andauern könnte, dass Wiesners Name ein exklusiver Begriff für Eingeweihte des Underground-Films bleibt. Ein zentrales Motiv im Schaffen des 1987 geborenen Regisseurs ist der Tod. Obwohl dieser früher oder später jeden trifft, wollen viele unserer Zeitgenossen das nicht wahrhaben. Aktuell kämpft man mit Masken über Nase und Mund, Impfungen, Tests und allerlei Maßnahmen gegen die äußerst geringe Wahrscheinlichkeit, dass vorzeitig das eintritt, was mit absoluter Sicherheit früher oder später ohnehin kommen wird: das Ende. „Der Tod ist großartig, wir alle gehören ihm,“ sagt ein kleines Mädchen in Wiesners Film Todesehnsucht , einer deutsch-thailändischen Co-Produktion aus dem Jahr 2018.

Wenn Wiesners Filmschaffen immer wieder um dieses Thema Tod kreist, mag dies für viele, die lieber wegsehen, wenig attraktiv sein. Doch stehen diesem Hinderungsgrund für eine breite Kenntnisnahme bedeutsame ästhetische Aspekte entgegen: Wiesners Filme ergreifen auf eine verstandesmäßig nie erklärliche Weise. Sie sind beklemmend und befreiend zugleich, stellen existenzielle Fragen in den Raum, die nicht verbal formuliert sind, sondern atmosphärisch in der und durch die Handlung schwingen. Man kann die Filme mit den Installationen eines Joseph Beuys vergleichen, die manchen Betrachter provoziert und befremdet zurücklassen – aber doch eine therapeutische Wirkung entfalten.

Ohne Epigone zu sein, steht René Wiesner in einer Tradition bedeutender Filmkünstler, deren Impulse er aufnahm und auf originelle Weise transformierte. Wiesners Sinn für Details offenbart eine intensive Auseinandersetzung mit Stanley Kubrick. Seine Ferne von allem, was mit den Genres á la Hollywood zu tun hat, verrät eine Nähe zu Lars von Trier, dessen Dogma95-Manifest bei Wiesner allerdings einen ganz undogmatischen Widerhall findet. Auch die Bilderwelt eines Werner Herzog mag ihre Spuren hinterlassen haben, erfuhr jedoch eine kreative Wandlung.

Immer wieder ist Wiesner mit der Kamera in vom Buddhismus geprägten Kulturen unterwegs. So wurde Mondo Siam (2020) in Kambodscha, Laos und Thailand gedreht. Der Film konfrontiert den Zuschauer auf beklemmende Weise mit verschiedenen Facetten des Todes: Ausgestellte mumifizierte Leichen, Schlachtfeste und religiöse Kulte werden wertfrei und unkommentiert gezeigt, schonungslos und unzensiert. Mondo Siam ist alles andere als ein Spielfilm im herkömmlichen Sinn. Er ist auch kein Horrorfilm, obwohl mancher Zuschauer durchaus Horror erfahren dürfte, wenn normalerweise als brutal oder ekelhaft Geltendes realistisch dokumentiert wird. Der Film ist trotzdem keine Dokumentation der üblichen Art, erspart er doch dem Zuschauer den Kommentator, der ihm die Einordnung des Gesehenen vorgibt. Diese Rolle des Kommentators, wenn man es überhaupt so nennen darf, nimmt in diesem Film die Musik ein.

Dass sich, wie gerade geschehen, leichter sagen lässt, was Wiesners Werk nicht ist, weder Spielfilm noch Dokumentation, dass es unmöglich ist, es einer der üblichen Schubladen zuzuordnen, sagt einiges über die vielseitige Arbeit des Regisseurs. Wer sich davon ein Bild machen möchte, dem sei die rare – weil auf 150 Exemplare beschränkte – Sammlung René Wiesners Pulp Films empfohlen.

Für die Wirkung, die von Wiesners Filmen ausgeht, sei das Urteil aus einer Rezension von Thomas Ortlepp auf der Website Destination Extreme Cinema angeführt. Hier heißt es über das Abenteuer, sich Wiesners Film Das Wundern des jungen Ulysses (2019) anzuschauen: „Wenn man sich auf diese Reise einlässt, erwartet einen eine wahnsinnig intensive Vorstellung. Ich kann nur sagen, dass ich gegen Ende fast nur noch gezittert habe! Der Film hat mich vollständig gepackt und abgeholt, also sein Ziel nicht verfehlt, sondern direkt ins Herz getroffen! Ich denke auch, dass wir von René Wiesner in Zukunft noch so einiges erwarten können!“