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Jan Kerkmann zur Nietzsche-Rezeption

Benedikt Maria Trappen

Ursprünglich als einleitende Vorarbeit zu seiner umfangreichen Studie der Nietzsche-Interpretation Martin Heideggers konzipiert (Die Zeit des Willens und das Ende der Metaphysik, 2020), untersucht der Freiburger Philosoph Jan Kerkmann die Nietzsche Studien von Lou Andreas-Salomé, Georg Simmel, Ernst Bertram, Theodor Lessing, Ludwig Klages, Alfred Baeumler, Karl Jaspers und Karl Löwith im Hinblick auf das in Ihnen zum Ausdruck kommende Verständnis des „Willens zur Macht“ und der „Ewigen Wiederkehr“ sowie des Zusammenhanges der beiden Grund-Gedanken Nietzsches. Dabei geraten die einander entgegengesetzten Grundbegriffe der vorsokratischen Philosophie „Sein“ und „Werden“ ebenso in den Mittelpunkt wie die Polaritäten „Endlichkeit“ und „Unendlichkeit“, „Immanenz“ und „Transzendenz“, „lineare Bewegung“ und „Kreisbewegung“, „Einzelnes“ und „Ganzes“, „Freiheit“ und Notwendigkeit.

Während für Jaspers jede „Lehre“, jeder scheinbar objektive Gehalt und Gedanke Nietzsches sich in einer „unendlichen Dialektik“ immer wieder aufhebt und einzig der unabschließbare Prozess des Philosophierens, der Selbstüberwindung bleibt, macht der Heidegger-Schüler Löwith darauf aufmerksam, dass auch das seit Dilthey vorherrschende hermeneutische Paradigma der „Geschichtlichkeit“ selbst geschichtlich ist und damit nicht allgemein verbindlich und objektiv sein kann. Auch warnt er vor den Gefahren der Selbst-Projektion, die im Besonderen in den Auslegungen von Karl Jaspers und Martin Heidegger spürbar werden.

Berührt wird mit den Grundproblemen der Hermeneutik auch das Verhältnis von Tradition und Fortschritt sowie die Möglichkeit des Menschen, kreativ an der Gestaltung der Zukunft mitzuwirken. Gott, Welt und Mensch werden fragwürdig auf eine verborgene Einheit hin. Die „Lehre der ewigen Wiederkehr“ findet Löwith dagegen im Leben und Werk Nietzsches selbst, der am Ende zum Anfang zurückkehrt. Im Symbol der sich häutenden Schlange, die in ihren Wandlungen zugleich dieselbe bleibt, sieht er das Spätere im Früheren bereits angelegt, das vorläufig Gedachte und Gedichtete in der späteren Erfahrung zu sich kommen. Schicksalhafte Entwicklung vollzieht sich nicht linear, sondern in sich aufhebenden, sich weitenden Kreisen.

Zarathustras Rede von den „drei Verwandlungen“ wird Löwith zum Paradigma dieser Lesart, die er in Nietzsches Leben wiederfindet. Löwith liest Nietzsche, könnte man sagen, im Licht des deutschen Idealismus. Dialektik, das machte auch Jaspers deutlich, wird verständlich als existenzieller Vollzug, Entwicklung, Selbstüberwindung, Wandlung, Transzendieren des Ich zu einer Wirklichkeit, die „mehr“ ist als Ich, Mächtigkeit, Können, Sein. Dass in Kerkmanns glänzender Studie die Nietzsche-Interpretation Karl Löwiths derart inspirierend hervorleuchtet, lässt hoffen, dass seine umfangreiche Heidegger-Nietzsche-Studie uns nicht nur Nietzsche, sondern auch Heidegger in diesem Licht neu sehen lernt.

Jan Kerkmann: Die ewige Wiederkehr und der Wille zur Macht. Eine rezeptionsgeschichtliche Untersuchung über das Verhältnis der beiden „Grundlehren“ in ausgewählten Nietzsche-Interpretationen 1894 – 1936. Tectum Verlag, Baden-Baden 2019, 305 S. (ISBN 978-3-8288-4366-0) 58,00 €