Lama Anagarika Govinda
Der unkultivierte Mensch sieht die Dinge nur in Bezug auf sich selbst, der kultivierte in ihren größeren und wesentlichen Zusammenhängen unter Ausschaltung seiner eigenen Person und ohne Vorurteile. Anhäufung von Wissen ohne Weitblick ist das Kennzeichen der Halbgebildeten und nicht selten auch der Gebildeten.
Selbst ein einfacher Bauer oder Nomade aber, der weder lesen und schreiben kann, aber noch nicht den Zusammenhang mit seinem universellen Hintergrund oder das Bewusstsein des Ewigen verloren hat, hat mehr Kultur als der nur „Gebildete“, dessen Tatsachenwissen nur seinen eigenen unmittelbaren Zwecken dient.
Die organische Verbindung mit der Vergangenheit durch lebendige Tradition ist ein wertvolles Fundament der Kultur, ebenso wie die geschichtliche Kenntnis der Vergangenheit, die uns befähigt, ohne Selbstinteresse menschliches Tun und Handeln in größerer Perspektive zu sehen. Ebenso ist die Kenntnis unseres Universums (gleichgültig, ob eine auf wissenschaftlicher, metaphysischer oder mythologischer Basis) ein wesentlicher Kulturfaktor, insofern dieses Wissen dazu beiträgt, uns des lebendigen Zusammenhanges aller Welten und Wesen bewusst zu werden.
Selbst ein vom Standpunkt der reinen Wissenschaft so anfechtbares System, wie das der Astrologie, ist ein wertvoller Beitrag zur menschlichen Kultur. So wie die Entdeckungen der Wissenschaft die Religionen nicht überflüssig gemacht haben, sondern sie nur vom Ballast vernunftwidriger Dogmen und populären Aberglaubens befreiten, in gleicher Weise kann die Astronomie den grundlegenden Wert der Astrologie, als Ausdruck der lebendigen Verbundenheit des Menschen mit dem Weltganzen, nicht aufheben.
Astronomie als solche (als mathematisch-physikalisches Weltbild), hilft uns nicht, die Welt und unsere Stellung in ihr zu verstehen. Im Gegenteil: sie schafft mehr Probleme, als sie je lösen kann und entfremdet den Menschen dem Universum, indem sie dieses mehr und mehr zu einem System abstrakter Größen macht, die so weit von allem Lebendigen entfernt sind, daß sie keine Beziehung zum Menschen und seiner Geisteswelt haben.