Benedikt Maria Trappen
Matthias Dhammavaro Jordan: Als ich verlor, was ich niemals war. Wie der Buddhismus mein Leben verändert hat. Petersberg 2019 349 S. 20 €
Wer sich in Anbetracht so vieler Bücher, die den Markt überschwemmen, das Lesen dieses Buches ersparen, die wesentlichste Erkenntnis und Botschaft aber mitnehmen will, der kann gleich Seite 294 aufschlagen. Er geht damit allerdings das Risiko ein, das Buch nicht nur zu Ende lesen, sondern auch wissen zu wollen, wer der Autor ist und wie er zu den dort so eindringlich und überzeugend beschriebenen Einsichten und Erfahrungen gekommen ist. Denn es geht in diesem außerordentlich lesens- und empfehlenswerten Buch nicht darum, die bekannten Grundworte und Grundsätze buddhistischer Lehre noch einmal aufzusagen, zu interpretieren und zu kommentieren. Die Lebensgeschichte, die hier erzählt wird, ist der Ort und die Zeit oder vielmehr der Prozess, aus dem diese Einsichten ursprünglich hervorgehen und in die sie kreativ und lebensbestimmend eingebettet werden. Und diese, ganz sicher seltene und mitreißende Lebensgeschichte, an der uns der Autor, von wenigen Rückblicken abgesehen, zwölf Jahre lang sehr offenherzig teilnehmen lässt, beginnt im dreißigsten Lebensjahr des, nach Abbruch eines Industriedesign-Studiums inzwischen selbstständigen Landschaftsgärtners in Berlin. Der führt dort zwischen Gelderwerbstätigkeit, Kneipenbesuchen, gelegentlichen Joints und seiner Freundin Anna, mit der er immer wieder lange in Asien unterwegs ist, ein bewegtes und attraktives Leben, um das ihn viele beneiden würden, bis er auf einer dieser Reisen eine gründliche Ernüchterung verspürt, Überdruss. Zunehmend wird er sich bewusst, dass er dieses Leben satt hat, das seine tiefste Sehnsucht doch nicht zu stillen vermag. Zufällig – wenn man noch an Zufälle glaubt – ergibt sich während eines Thailand-Aufenthaltes die Möglichkeit, an einem zehntägigen Retreat in einem buddhistischen Kloster teilzunehmen. Ein Traum und eine innere Stimme – beides wird sein Leben von nun an immer wieder begleiten und leiten – bestätigen ihn in diesem Schritt zur Erneuerung. Er lernt Achtsamkeit auf den Atem und beim Gehen, begegnet Ajahn Buddhadasa und macht erste Schritte auf dem langen, schwierigen und anspruchsvollen Weg der „Reinigung der Herzenstrübungen“. Intuitiv weiß er sogleich, dass er diesen Weg weitergehen will. Er trennt sich schließlich von Anna und wird sich in den nächsten zwölf Jahren in zahlreichen Klöstern und an vielen Orten, vornehmlich in der Natur, genau richtig und zuhause fühlen. Es geht bei der täglichen Praxis vor allem um die Auseinandersetzung mit dem Schatten, der bekanntlich umso dunkler scheint, je heller das Licht wird, und eine Kobra lehrt ihn, dass es weder darum geht, sich gegen diesen Schatten zu verteidigen, noch zu flüchten, sondern ihm mutig ins Auge zu sehen und sein zu lassen. Ärger, Stolz, Egoismus, zweifelhafte Absichten, Schuld. Radikale Ehrlichkeit ist gefragt, um das innere Geschehen wahrzunehmen, ohne sich davon überwältigen zu lassen. Und immer wieder die Konfrontation mit Vergänglichkeit, Unbeständigkeit, Krankheit und Tod. Er meditiert bei Leichenverbrennungen und schaut dem Verwesungsprozess über Wochen zu. Und immer wieder hat er wunderbare Einsichten und Erlebnisse, die er zunächst für Erleuchtung halten will. Aber es sind nur Vorblicke, Bestätigungen, Ermutigungen, nicht das große Ziel: Freiheit. Auch für sie gilt, was für alles gilt: Auch das geht vorüber. Und was bleibt, wenn die wunderbarste Ekstase einmal zu Ende geht? – Das Nächstliegende und Notwendige zu tun. Es braucht lange, bis ihm diese Erkenntnis zuwächst: Hier und jetzt, zurückgeworfen auf sich selbst, mit der Kraft der Intuition, der Weisheit der Träume und der Gewissheit der inneren Stimme tun, was getan werden muss. Der Widerwille des kleinen Ich muss schwinden. Erst wenn der Mensch bereit zur Hingabe ist, zur Ergebung, bereit für das was kommt, was auch immer das undurchdringliche Mysterium des Lebens bereit hält, erst mit dem Tod des kleinen Ich öffnet sich der Raum der Freiheit. Und, wie wunderbar: niemand ist da, um zu tun, was getan werden muss. Nachdem er dies erstmals verstanden hat, arbeitet er eine Zeit lang in einem Hospiz in Wiesbaden, einem Ort, an dem es keine Träume, Illusionen, keine Zukunft mehr gibt, die Frage nach dem Sinn, der Bilanz des Lebens keine Theorie mehr ist und in allem Ernst gestorben werden muss. Ein Praktikum in einer psychotherapeutischen Einrichtung schließt sich an, das ihn mit zahlreichen Verfahren, auch dem holotropen Atmen bekannt macht, vor allem aber den Wert von Mitgefühl, Zuwendung und Liebe verdeutlicht. Nicht erst diese Praktika bringen ihn in Konflikt mit den immerhin 227 Regeln, die er als Mönch einzuhalten hat. Zufällig lernt er eine Heilpraktikerin kennen, nimmt an deren Vorbereitungskursen teil und besteht schließlich fast im Vorbeigehen die Prüfung als Heilpraktiker für Psychotherapie. Aber auch, wenn sein bisheriges Leben sich immer richtig angefühlt hat, die Begegnung mit wilden Tieren, Geistern, Dämonen, Erinnerungen an frühere Leben, indianische Rituale und übersinnliche Fähigkeiten eingeschlossen, wächst in ihm nach zwölf Jahren allmählich die Gewissheit, dass er auch an dieser formalen Lebensweise nicht festhalten kann und wird, wenn er auch den spirituellen Weg nie mehr verlassen wird. Das erste große Ziel, den unumkehrbaren Stromeintritt, hat er inzwischen sicher erreicht. Die Sehnsucht des Menschen sehnt sich nach mehr als dem, was die raum- zeitliche sinnliche Welt zu bieten hat, doch kann das Leben in dieser Welt nicht einfach übersprungen werden. Bedingungslose Liebe, Freiheit, Verbundenheit, Einheit in Vielfalt leuchten wie Sterne am Horizont der Polarität des Lebens. Doch führt der Weg, Leben für Leben, zunehmend gelassener immer weiter durch diese Welt der Gegensätze hindurch. Mit der inneren Gewissheit und dem Vertrauen in die Richtigkeit des auf ihn zukommenden unabsehbaren zukünftigen Geschehens, begleitet von neuen Träumen und inneren Stimmen, gibt er schließlich nach zwölf Jahren das formelle Leben eines Mönchs auf und findet sich zwei Jahre später als alleinerziehender Vater seines Sohnes Samuel wieder. Und was waren jetzt noch einmal die bekannten buddhistischen Grundworte und Grundsätze? Die findet man in diesem Buch natürlich auch, in der, immer wieder auch humorvollen und selbstironischen Brechung des Autors, zahlreicher Weggefährten und Lehrer, von Vergänglichkeit über Karma bis Nirwana. Eine besondere Gelegenheit, das ganz private Wörterbuch noch einmal durchzublättern, abzugleichen, manches zu revidieren und zu streichen und die eine oder andere Ergänzung vorzunehmen. Natürlich nur, wenn man in der klösterlichen Rangordnung weiter hinten sitzt.