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Ist nun der Weg das Ziel? Oder: Ist das Ziel das Ziel?

Birgit Zotz

Eine interessante Frage, wie ich finde. Ein Bekannter von mir, der mit seiner Kulturstiftung in Deutschland kulturelle Veranstaltungen und Bildung fördert, meinte dazu nur zynisch: „Das ist völliger Blödsinn: Wenn der Weg das Ziel wäre, dann gäbe es nicht zwei Wörter dafür, nämlich Weg und Ziel. Der Weg ist der Weg. Und das Ziel ist das Ziel. Und wie ich an dieses Ziel komme, ist mir völlig egal.“ Ja, das kann man durchaus so sehen.

Ich muss bei dieser Frage irgendwie immer an eine Zugfahrt in Indien denken. Das Bild oben zeigt mich vor einigen Jahren bei einer langen Zugfahrt durch Indien. Lang, das bedeutet dort auch schon mal siebenunddreißig Stunden. Mit Pech, – und das kommt gar nicht so selten vor – sitzt man dann tatsächlich zehn Stunden länger im Zug, weil er auch noch Verspätung hat.

Es ist voll, es ist heiß, es ist laut, es ist dreckig. Und die Anzahl der Kakerlaken, die um meinen Sitz wohnen (der nachts zum Bett wird), beeinflusst stark meinen Wohlfühlfaktor. Ich liebe Zugfahrten durch Indien trotzdem. Es ist so lebendig! Und damit meine ich nicht die Kakerlaken.

Für mich sind indische Zugfahrten ein Symbol dafür, dass der Weg vielleicht nicht zwangsläufig das Ziel ist. Aber auf dem Weg das Abenteuer, das Ungewisse und damit die Freude liegen muss. All das findet sich nämlich nicht am Ziel, sondern auf dem Weg dahin.

Klar, man könnte auch fliegen, dann ist man in zwei Stunden da – es ist schnell, effizient, praktisch. Aber wie viel Freude empfindet man tatsächlich, wenn man seine Entscheidungen nach Effizienz, Praktikabilität und Bequemlichkeit ausrichtet?

Ist man glücklich, wenn man nach zwei Stunden Flug aus dem Flugzeug steigt? Ich nicht. Aber, wenn ich nach siebenunddreißig Stunden aus dem Zug steige, bin ich auf jeden Fall müde und erfüllt von Eindrücken und Begegnungen. Ja, und das macht mich glücklich.

(Ursprünglich hier veröffentlicht)